Drachenspiele - Roman
küsste, dass etwas nicht stimmte.
»Was ist passiert?«, wollte sie wissen und schaute ihn prüfend an.
»Yin-Yin ist wahrscheinlich verhaftet worden.«
Es lag kein Vorwurf in ihrem Blick, eher die Enttäuschung eines Menschen, der ein Unglück kommen sah und bis zuletzt gehofft hatte, es möge nicht geschehen. »Ich möchte so schnell wie möglich zu dir ins Haus«, sagte sie und nahm seine Hand.
Beim Anstieg nach Tai Peng blieb Christine schwer atmend auf der Hälfte der Strecke stehen und hielt sich an ihm fest.
»Ist es dir zu viel?«, fragte Paul besorgt. »Sollen wir eine Pause machen?«
»Nein, geht schon. Nur etwas langsamer.«
In Gedanken versunken liefen sie nebeneinander her.
Zu Hause bereitete Paul frischen Eistee zu, stellte auf der Terrasse für Christine einen Liegestuhl auf, holte aus der Küche ein Brett, scharfe Messer, die Hühnerbrüste, Knoblauch, Frühlingszwiebeln und Ingwer und setzte sich zu ihr. Im Garten stand die Luft, es war heià und feucht, ein Klima, wie Paul es liebte. Christine dagegen sah blass und erschöpft aus.
»Wollen wir lieber ins Haus gehen?«
»Gern, wenn du eine Klimaanlage hättest â¦Â« Sie lächelte müde. »Erzähl mir lieber, was du weiÃt.«
Paul schälte Knoblauch und Ingwer und berichtete ihr von seinen Gesprächen mit Weidenfeller und Chen.
»Es klingt nicht so, als möchte der Rechtsanwalt noch viel mit der Sache zu tun haben.«
»Nein.« Paul schnitt die Hühnerbrüste in kleine Würfel und die Frühlingszwiebeln in lange Streifen. »Nein, das tut es nicht.« Er versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
»Wer sonst könnte ihr helfen?«
»Ich weià es nicht.« Er wischte sich den Schweià aus der Stirn.
»Meinst du, mein Bruder möchte noch immer eine Klage einreichen?«
»Auch das kann ich dir nicht beantworten. Ich vermute es.«
»Hast du ihn eigentlich darauf gebracht?«
»Nein, das hat er sich allein überlegt.«
»Merkwürdig«, murmelte sie. »Ich frage mich, wie er auf so eine Idee kommen konnte.«
»Warum findest du das so abwegig? Du hast gesehen, wie schlecht es Min Fang geht. Ich verstehe gut, dass er diejenigen, die dafür verantwortlich sind, bestraft sehen möchte.«
»In China?«
»Christine, das ist doch völlig egal«, widersprach Paul heftig. »Wenn mir oder meiner Familie Unrecht zugefügt wird, will ich mich dagegen wehren, egal ob ich Deutscher, Amerikaner, Chinese, Inder oder Ureinwohner in Papua-Neuguinea bin.« Der Schweià hatte dunkle Flecken auf ihre Bluse gezeichnet. »Komm, wir gehen ins Haus, ich stelle Ventilatoren auf.« Christine hockte sich an den Küchentresen und genoss den Luftzug, der ihrem heiÃen Körper Abkühlung verschaffte. Paul gab Salz, Sojasauce, Shaoxing-Wein, einen Teelöffel Kartoffelmehl und etwas Wasser in eine Schüssel, rührte alles gut durch und vermischte anschlieÃend die Marinade mit dem Huhn.
»Und jetzt willst du nach Shanghai«, sagte sie nach einer Weile. Es war keine Frage, eher eine Feststellung.
Paul blickte verdutzt auf. »Woher weiÃt du das?«
»Ich kenne dich. Du hast ein schlechtes Gewissen und fühlst dich verantwortlich.«
Er nickte stumm.
»Du denkst, du hast sie dazu ermuntert, sich zu wehren, sich in Gefahr zu begeben, und jetzt lässt du sie im entscheidenden Moment im Stich.«
»Ist es nicht so?«, fragte er unsicher.
»Ja.«
»Wirklich? Findest du?«
»Ich glaube nicht, dass sie ohne dich so weit gegangen wäre.«
Paul bereitete nachdenklich die Sauce zu, kippte helle und dunkle Sojasauce, chinesischen Essig, Sesamöl, etwas Zucker, Mehl und Hühnerbrühe in eine Schale und verrührte alles. Christine deckte den Tisch.
Er stellte den Gasherd an und erhitzte Ãl im Wok. Als es heià genug war, warf er eine Hand voll getrockneter Chilis und Sichuanpfeffer hinein und schwenkte den Wok, bis sie knusprig waren.
»Es riecht schon ganz wunderbar«, sagte Christine und flüchtete zurück in den kühlen Atem der Ventilatoren.
Paul schüttete das Hühnerfleisch in den Wok, das heftig aufzischte, dann folgten die restlichen Zutaten. Das konzentrierte Kochen tat gut, der Geruch von gebratenem Knoblauch, Ingwer und Frühlingszwiebeln entspannte ihn. Zum Schluss kamen Sauce und
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