Drachenspiele - Roman
anzuwinkeln und in Richtung Bauch zu drücken. Da Long hatte Recht, trotz der hageren Beine war es viel mühsamer als gedacht. Er musste so viel Kraft aufwenden, dass er fürchtete, ihr die Knochen zu brechen. Min Fang lieà jedes Mal ein leises Ãchzen vernehmen.
»I-i-ich weià nicht, ob es ihr wehtut«, sagte Da Long. »Selbst wenn, die Ãrzte meinen, es muss sein.«
Nachdem Paul es zehnmal geschafft hatte, legte er das Bein zurück, ging ums Bett und machte eine kurze Pause.
»Sag mal, Da Long, wie viele Kranke gibt es eigentlich in diesem Dorf?«
»K-k-keine Ahnung, es gibt ja keinen Arzt, der eine Liste führt. In unserem Alter ist jeder auf die eine oder andere Art krank, oder? Warum fragst du?«
Paul nickte und begann mit dem rechten Bein.
»Hast du gar nichts gefangen?«, wunderte sich Da Long.
Paul schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe es auch gar nicht erst versucht. Es sah, ehrlich gesagt, nicht sehr einladend aus.«
»Warum nicht?«
»Da lagen mehr als ein Dutzend Tierkadaver herum. Enten. Vögel. Von anderen waren nur noch Skelette übrig, ich konnte nicht erkennen, was es war.«
Da Long reagierte nicht.
»Im See schwammen eine Menge toter Fische. Ist das normal?«
»Min Fang hat mir auch davon erzählt. Sie sagte, es sei in den vergangenen Monaten schlimmer geworden.«
»Sie hat trotzdem weiter geangelt?«
»Sie sagte, der Fisch schmeckt nicht anders als sonst.«
Paul wusste nicht, wie er die nächste Frage stellen sollte, er wollte nicht misstrauisch klingen. »Was ist das für eine Fabrik am Ende des Sees?«, sagte er nach einer Weile und hoffte, es würde beiläufig klingen.
»Welche Fabrik?«
»Am hinteren Ende habe ich zwei rauchende Schlote gesehen, Häuser und eine Mauer.«
»Ach die. Sie ist schon so lange dort, dass ich sie ganz vergessen habe. Ein Teil der Landschaft sozusagen. Golden Dragon. Produziert Hustensaft, Hustenbonbons und alle möglichen Erkältungstees.«
»Bist du sicher? Woher weiÃt du das?«
Er zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen: Das weià jeder, der hier lebt.
Paul beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Es war eine absurde Vorstellung, dass dieser geplagte Mann ihm die Unwahrheit sagen könnte.
»Seit wann esst ihr den Fisch aus dem See?«
»Keine Ahnung. Seit Jahren. Min Fang liebt Fisch. Jede Art. AuÃerdem kostet er nichts.«
Die Antworten verwirrten Paul. Wenn mit dem Fisch etwas nicht in Ordnung war, warum erkrankten nur die Frauen? Woran litt Frau Zhuo, die nur selten mit zum See gegangen war? Wie war es zu erklären, dass die anderen Dorfbewohner, die dort ebenfalls häufiger geangelt hatten, bisher gesund geblieben waren?
»Und du?«
»Ich nicht«, antwortete Da Long.
»Hast du nicht eben gesagt, ihr hättet den gefangenen Fisch gegessen?«
»Min Fang. Ich nicht. Ich habe eine Allergie. Kriege roten Ausschlag am ganzen Körper.«
Paul war so überrascht, dass ihm beinah Min Fangs Bein aus den Händen geglitten wäre. »Der Mann von Frau Ma auch?«, wollte er wissen und konnte nur mit Mühe seine Aufregung verbergen.
»Nein. Aber der hasst Fisch. Rührt ihn nicht an.«
»Was habt ihr dann mit den restlichen Tieren, die Min Fang gefangen hat, gemacht?«
»Wenn etwas übrig war, haben wir sie im Dorf für ein paar Yuan verkauft. Viel gab es nicht dafür. Den Rest hat die Katze bekommen.«
Paul überlegte einen Augenblick: »Die Zhuos waren gute Kunden, stimmtâs?«
»Vor allem sie. Woher weiÃt du das?«
»Geraten.«
Er legte das Bein vorsichtig auf die Decke und wischte sich den Schweià von der Stirn. Die Fische. Es war bis jetzt nicht mehr als ein Verdacht, auch wenn er sich mit jedem Detail, das Paul erfuhr, erhärtete. Was konnte an den Tieren so toxisch sein, dass ihr Verzehr Menschen innerhalb einiger Wochen in Halbtote verwandelte?
Da Long setzte sich ans FuÃende und massierte die FüÃe seiner Frau, Paul stand neben dem Nachttisch und beobachtete, mit welcher Konzentration und Sorgfalt er Ferse, FuÃballen und jeden einzelnen Zeh durchknetete. Min Fang röchelte leise.
»Kannst du ihr etwas Wasser geben? Es steht neben dir. Ich glaube, sie hat Durst«, bat ihn Da Long.
Paul schob seine Hand behutsam unter ihren Kopf, hob ihn ein wenig hoch, führte das Glas an ihre Lippen und flöÃte ihr
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