Drachenspiele - Roman

Freundschaft auf einem guten Fundament.«
    Â»Konfuzius?«
    Â»Nein. Da Long.«
    Es war das erste Mal, dass Paul ihn herzhaft lachen sah.
    Â»Ich glaube, dass es zwischen Himmel und Erde viele Dinge gibt, die wir nicht erklären können und die trotzdem wahr sind. Ob Astrologie dazugehört, weiß ich nicht.« Er warf einen Blick auf die Uhr und stand auf. »Ich muss für Min Fang eine Tinktur vorbereiten.«
    Paul folgte ihm in die winzige Küche, wo Da Long eine alte Handwaage nahm, das Gewicht sorgsam justierte, aus einem Porzellanbehälter eine Hand voll Kräuter hervorholte und fünfzig Gramm davon abwog. Das Gleiche wiederholte er mit getrockneten Wurzeln, Blättern, Pilzen und nicht zu definierenden Körperteilchen von Tieren, warf am Ende alles in einen Topf mit Wasser und kochte es unter ständigem Rühren auf. Schon bald stieg aus dem Pott ein unangenehm riechender Dampf auf, der leicht in der Nase brannte.
    Â»Diese Mixtur hat uns ein chinesischer Arzt verschrieben. Damit muss ich ihr dreimal am Tag die Glieder einreiben. Es soll helfen, die Muskeln zu entkrampfen.«
    Er kippte die Brühe mehrmals zwischen Schüssel und Topf hin und her, bis sie sich ein wenig abgekühlt hatte, ging zum Bett, schob die Bettdecke zur Seite, krempelte sorgfältig die Hosenbeine von Min Fangs Pyjama hoch, tunkte ein Tuch in den schwarzen Sud und begann mit langsamen, rhythmischen Bewegungen ihre Beine einzureiben. Dann kamen die Arme dran. Da Long bürstete seiner Frau die Haare, schnitt ihr die Nägel an Füßen und Fingern, setzte sich wieder aufs Bett und massierte ihr die Füße. Während der ganzen Prozedur
wechselten sie kein Wort, Paul war nicht einmal sicher, ob Da Long ihn noch bemerkte. Plötzlich das Geräusch mehrerer Furze, es begann zu stinken, und auf dem Laken breitete sich ein brauner Fleck aus. Da Long seufzte kurz.
    Â»Kann ich dir helfen?«, fragte Paul und merkte selbst, dass sein Angebot nicht überzeugend klang.
    Da Long warf ihm einen langen Blick zu und schüttelte zu seiner Erleichterung den Kopf. Ihm war anzusehen, dass er lieber allein sein wollte.
    Paul verabschiedete sich, versprach, am nächsten Morgen pünktlich um elf Uhr zurück zu sein, und machte sich auf den Weg zum Taxi.
    Woran glaubst du? Er dachte an Justin, an Christines Frage und an ihren Bruder. Vielleicht, überlegte Paul, würde er seinem Sohn und ihr jetzt antworten, dass er an Menschen glaube. An manche zumindest.
    Â 
    Zurück in Yiwu hatte er es eilig, aß in einem Hunan-Restaurant dem Hotel gegenüber »Chairman Maos Leibspeise«, Schweinefleisch mit daumendicken Fettstücken und Schwarte in einer dicken, süßlich scharfen Sauce, trank hastig ein Bier und saß keine halbe Stunde später wieder in seinem Zimmer am Computer. Es wurde eine kurze Nacht. Unter dem Namen des japanischen Fischerdorfes gab es 221 184 Fundstellen. Paul hangelte sich durch das endlose World Wide Web, Link für Link tiefer hinein in dieses Universum aus Buchstaben, Bildern und Zahlen. Er machte sich Notizen, verglich Statistiken, durchforstete Archive, studierte wissenschaftliche Arbeiten, schrieb E-Mails an Christine und David Zhang. Sein Freund war im vergangenen Jahr nach einem Korruptionsskandal Leiter der Mordkommission in Shenzen geworden und seitdem so beschäftigt, dass sie sich kaum noch
sahen. Das letzte Mal hatte er ihn vor einigen Wochen auf Lamma besucht, sie hatten gemeinsam gekocht und sich einmal mehr vorgenommen, sich wieder häufiger zu sehen. Jetzt brauchte er dringend einen Kontakt in Shanghai von ihm. Spätestens morgen Vormittag würde er ihn per SMS bekommen; auf David war Verlass.
    Paul telefonierte gleich mehrmals mit einem Professor an der Universität Mainz und lange mit einem in San Diego, bis er das Gefühl hatte, für die nächsten zwei, drei Tage gerüstet zu sein. Nach allem, was er gelesen und erfahren hatte, musste der Befund Schlaganfall eine Fehldiagnose sein. Absicht? Inkompetenz? Um kurz nach fünf Uhr lag Paul im Bett, löschte das Licht und fiel erschöpft in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
    Â 
    Die Anspannung hatte von Da Long fast vollständig Besitz ergriffen. Er eilte unruhig durch das Haus, unfähig, auch nur einen Moment innezuhalten; das Zucken um das linke Auge war zurückgekehrt, er sprach noch stockender als beim Wiedersehen mit seiner Schwester. Paul hatte