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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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Leben hatte er noch keinen Fisch gefangen.
    Â»Versuch dein Glück, wenn du Lust hast. Min Fangs Rute liegt dort neben dem Haus.«
    Paul füllte seine Wasserflasche auf, lieh sich von Da Long als Schutz gegen die Sonne eine alte, ausgeblichene Mao-Mütze und marschierte los.
    Er folgte dem Weg, den Da Long beschrieben hatte, und stand nach einer halben Stunde auf dem Kamm einer Hügelkette. In der Senke vor ihm lag ein See, der sich fast wie ein breiter Flusslauf durch die Landschaft schlängelte. Paul schätzte ihn auf gut drei Kilometer in der Länge und zweibis dreihundert Meter in der Breite, das Ufer war größtenteils mit Schilf bewachsen. Paul verließ den Pfad und kletterte den steilen Teil des Hangs zum Wasser hinab. Er stieß auf eine graubraune Brühe, über der an manchen Stellen ein bläulich silbern schimmernder Film lag; das Ufer säumten rote, gelbe, blaue und weiße Punkte, Plastiktüten, die der Wind mit der Zeit ins Schilf getrieben hatte. Paul stapfte durch das hohe Gras, und nach wenigen Schritten knackte es unter seinen Füßen so eigentümlich, dass ihn eine Gänsehaut überlief.
Er war auf eine tote Entenfamilie gestoßen. Die Gerippe von vier Jungen und der Mutter konnte Paul erkennen, die Knochen eines fünften hatte er zertreten. Nicht weit davon entfernt lag der Kadaver eines Vogels. Und noch einer. Etwas weiter weg sah er das Skelett eines großen Tieres, vermutlich ein Hund. Paul atmete mehrmals tief ein, in der Luft lag der süßliche Geruch von Verwesung. Er bahnte sich einen Weg durch einen Bambushain, griff sich ein langes, abgebrochenes Rohr, ging direkt ans Wasser, drückte damit an verschiedenen Stellen das Schilf auseinander, ohne wirklich zu wissen, wonach er suchte. Ihm wurde von Minute zu Minute unheimlicher, und allmählich beschlich ihn das Gefühl, dass er sich am Morgen geirrt hatte: Es stand mehr auf dem Spiel als ein vergeudeter Tag. Er leerte seine Flasche, griff ins flache Wasser, holte eine Handvoll Schlamm vom Grund und füllte ihn hinein. Dann hielt er sie in den See, bis sie voll gelaufen war. Was er damit anfangen wollte, wusste er noch nicht genau, aber es war das Einzige, was er im Augenblick tun konnte.
    Das Gelände wurde unwegsamer und feuchter. Nach einer halben Stunde hatte er eine Biegung erreicht, von der aus er bis zum Ende des Sees blicken konnte. Dort entdeckte er eine Fabrik mit zwei hohen Schornsteinen, aus denen weißer Qualm emporstieg. Er versuchte weiter voranzukommen, jeder Schritt verursachte nun ein sattes, schmatzendes Geräusch, immer wieder versank er bis zu den Knöcheln und tiefer im Matsch. Irgendwann gab er auf und kehrte um. Das Ufer auf der anderen Seite sah besser aus, aber dafür war es jetzt zu spät; er musste dringend mit Da Long reden.
    Eine gute Stunde später stand er wieder im Hof, holte etwas Wasser aus dem Brunnen und säuberte damit seine Schuhe. Aus dem Haus drang plötzlich das heftige Stöhnen
eines Menschen, der sich über die Maßen körperlich anstrengen musste.
    Â»Ich bin zurück, kann ich dir helfen?«, rief Paul und eilte hinein.
    Da Long stand am Bett seiner Frau, hielt ihr rechtes Bein in der Hand und versuchte, es zu beugen. In seinem Blick lag eine Mischung aus Scham und Erleichterung.
    Â»V-v-vielleicht«, sagte er völlig außer Atem. »D-d-die Ärzte haben gesagt, ich soll ihre Glieder zweimal am Tag für ein paar Minuten bewegen, sonst ist sie bald ganz steif. Aber ihre Muskeln verhärten immer mehr, heute ist es besonders schlimm. Könntest du es einmal versuchen?«
    Paul stellte sich auf die andere Seite des Bettes und hob vorsichtig Min Fangs linkes Bein. Es war bleich, dürr und so leicht, dass ihm übel wurde. Er musste an seinen Sohn denken. Auch er war in den letzten Wochen seines Lebens entsetzlich ausgemergelt, seine Haut war von Tag zu Tag blasser geworden, die blauen Adern darunter hatten sich so deutlich abgezeichnet, als wäre sie durchsichtig. Der achtjährige Körper war so leicht, dass Paul ihn ohne Probleme mit nur einem Arm heben konnte. Es war nicht mehr das Gewicht des Lebens, hatte Paul damals gedacht, es war das Gewicht des Todes, das er in den Händen hielt. Er zögerte.
    Â»D-d-du musst versuchen, das Knie zu beugen und den Oberschenkel nach h-h-hinten zu drücken, und das zehnmal hintereinander.«
    Paul griff etwas fester zu, versuchte das Bein

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