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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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mit Sicherheit gibt es Nervengifte, die derartige Folgen haben können. Nur, aus welchem Grund, wie und womit hätte der ältere Herr seine Frau vergiften sollen?«

    Pauls Blick fiel auf die Uhr im Armaturenbrett. Wenn sie nicht in einem Stau stecken blieben, würde er es pünktlich zu dem Labor schaffen, das sein Freund Zhang für ihn organisiert und auf sein Kommen vorbereitet hatte. Und mit etwas Glück würde er in spätestens achtundvierzig Stunden eine Antwort auf diese und noch einige ganz andere Fragen besitzen.

VIII
    Die Sitzung der Gesellen des Todes nähert sich ihrem Ende. Da Long kann kaum noch still sitzen. Eine Gruppe junger Mädchen in grünen Uniformen tanzt auf der Bühne den Loyalitätstanz zu Ehren des Großen Vorsitzenden. Ein Mann tritt an den vorderen Rand des Podiums, greift nach dem Mikrofon, erhebt seine Stimme. Es ist eine kraftvolle, unverbrauchte Stimme, eine, die weder Zweifel noch Mäßigung kennt. Sie klagt an. Sie fordert. Sie droht. Der Mann schleudert ihnen die Laute mit Gewalt entgegen, er spuckt sie aus, harte, aggressive, kratzende Laute, wie Peitschenhiebe fliegen sie über ihre Köpfe hinweg. Dazwischen herrscht gespannte Stille, und die steigert die Erregung noch.
    Da Long sitzt zwischen Hunderten von Jungen und Mädchen; sie hocken in langen Reihen auf der Erde, hören genau zu, ihnen entgeht nichts, sie drängen danach, den Worten Taten folgen zu lassen, schwenken ihre roten Bücher durch die Luft und springen nach dem letzten Satz auf. Sie sind empört. Voller Zorn. Sie schreien laut und im Chor, strömen auf die Straße, bilden Gruppen, von denen jede zwei Anführer und mindestens ein halbes Dutzend kräftiger junger Männer zugewiesen bekommt. Sie schwirren aus, kreuz und quer durch die Stadt. Niemand soll ihnen entkommen an diesem Tag.
    Sie sind jung, manche kaum älter als zwölf, aber ihre Gesichter sind ernst, aus ihren Augen ist alles Kindliche verschwunden.
    Sie sind im Krieg. Im Krieg gegen die alte Welt. Im Krieg gegen altes Gedankengut. Alte Kultur. Alte Gebräuche. Alte Gewohnheiten.
    Sie kennen ihren Auftrag: Das Alte ausmerzen, Feinde finden. Feinde der Revolution. Feinde des Großen Steuermanns. Und die lauern überall. In der Schule, in den Fabriken,
in den Universitäten. In der Nachbarwohnung. In den Familien. Auch in den eigenen.
    Â»Eine Revolution«, so hat der Mann auf dem Podium Mao zitiert, »ist nicht das Gleiche, wie Leute zum Abendessen einzuladen oder einen Aufsatz zu schreiben oder ein Bild zu malen oder eine feine Handarbeit anzufertigen; sie kann nicht etwas so Maßvolles, Edelmütiges sein. Eine Revolution ist ein Aufstand, ein Akt der Gewalt, mit dem eine Klasse eine andere stürzt.«
    Eine Revolution ist nichts für Zweifler. Eine Revolution kennt nur zwei Sorten von Menschen: Gewinner und Verlierer. Da Long will nicht zu den Verlierern gehören. Er hat gesehen, was mit ihnen geschieht.
    Er geht mit seiner Gruppe die Hauptstraße entlang, sie kommen am Büro des Stadtkomitees vorbei und stehen nach wenigen Minuten vor dem Gebäude, das sie gesucht haben. Ein Haus wie jedes andere. Von der grauen Fassade bröckelt der Putz, vor den Fenstern hängt Wäsche zum Trocknen. In der Gemeinschaftsküche im Erdgeschoss schneidet eine alte Frau Frühlingszwiebeln, sie erstarrt vor Angst, als sie die Roten Garden kommen sieht.
    Da Long bleibt im Hausflur zurück, während die anderen die Treppe hinaufstürmen. Er hört ihr Getrampel auf den hölzernen Stufen. Er hört, wie sie im ersten Stock gegen einige Türen hämmern, wie sie weiter hinaufrennen, immer höher, auf der Suche nach ihrem Opfer. Er weiß, was dort oben gleich geschieht, er war oft genug dabei. Sie werden dem Feind in sein Versteck folgen. Sie werden die Bücher aus den Regalen reißen, sie unter dem Bett, hinter dem Schrank oder unter den Holzdielen hervorholen, wenn es nötig ist. Sie werden das Radio finden und zerstören und den kleinen Altar und die handschriftlichen Notizen zu den Werken des
Konfuzius. Sie werden die Frau verhören und das Kind, und sie werden ihren Lügen keinen Glauben schenken. Sie werden den Mann schlagen und auch die Frau, wenn sie die Verbrechen, die er begangen hat, nicht gestehen. Wenn sie versuchen zu leugnen, was nicht zu leugnen ist.
    Sie werden ihn mitnehmen, die Treppe herunterschleifen, notfalls an den Haaren,

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