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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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Mann und kam ihm so nah, dass Da Long seinen warmen, nach Rauch stinkenden Atem im Gesicht spürte. Das wird Konsequenzen haben, fügte er mit bebender Stimme hinzu, drehte sich um und stapfte hinaus in die Kälte.
    Zwei Stunden später saß Da Long nicht nur dem Parteisekretär und dessen beiden Vertretern gegenüber, sondern auch den Parteiführern aus der Bezirkshauptstadt, die sich auf einer Inspektionsreise durch die Provinz befanden und zufällig für zwei Tage im Ort weilten.
    Das verdreckte, klamme Buch wanderte von Hand zu Hand, jeder blätterte darin und begutachtete es mit böser Miene. Der erbärmliche Zustand sei ein deutliches Zeichen für die Missachtung, die der junge Rotgardist der politischen Führung entgegenbringe. Ob er irgendetwas zu seiner Verteidigung zu sagen habe?
    Da Long schwieg, sie wiederholten ihre Frage. Harte, schroffe Stimmen.
    Da Long wollte antworten, atmete tief ein, öffnete den Mund, legte die Zunge an den Gaumen, stieß die Luft wieder aus, ohne dabei einen verständlichen Laut hervorzubringen. Er blickte in die ernsten Gesichter der Genossen vor ihm.
Es war eine Nachlässigkeit gewesen, ein Missgeschick, unentschuldbar zwar, aber ohne jede Absicht. Trotzdem war er bereit, alles zuzugeben, was man ihm vorwarf, und jede Strafe zu akzeptieren. Wer war er, sich dem Willen der Partei zu widersetzen? In diesem Moment musste er an seinen Vater denken. Als wäre er wie ein dicker Falter angesegelt gekommen und hätte sich auf seine Gedanken gesetzt. Wie mochte ihm zumute gewesen sein, als er die Rotgardisten die Treppe hinaufstürmen hörte? Er konnte nicht damit gerechnet haben, sonst hätte er die Schriften unter den Dielen in der Küche längst vernichtet. Hatte er einen Verdacht, wer ihn verraten haben konnte? Was waren seine letzten Gedanken gewesen?
    Da Long schwieg lange, und als seine Sprache schließlich zurückkehrte, geschah es stockend und in Bruchstücken. Er wiederholte Laute, ohne es zu wollen, er quälte sich mit den einfachsten Tönen, er bemühte sich mit aller Kraft, Herr über sein Sprechen zu bleiben, und benötigte doch mehrere Anläufe, um auch nur die einfachsten Wörter auszusprechen. Da Long hatte zu stottern begonnen.
    Die Parteikader aus der Stadt starrten ihn erschrocken an: Simulierte dieser Lümmel, oder war sein Sprachfluss tatsächlich ins Stocken geraten? Als es auch nach mehreren Minuten nicht besser wurde, hatten sie ein Einsehen und beließen es bei einer langen und eindringlichen Belehrung über den rechten Umgang mit den kostbarsten Worten, die das chinesische Denken in seiner fünftausendjährigen Geschichte je hervorgebracht hatte und je hervorbringen würde.
    Die Funktionäre reisten wieder ab, das Stottern blieb. Es machte ihn zu einem noch größeren Außenseiter, der jetzt häufig allein auf den Feldern arbeitete und ganze Tage verbrachte, ohne mit einem Menschen ein Wort zu wechseln.
    Einige Monate später stießen acht Jugendliche aus der
Provinzhauptstadt Chengdu dazu. Eine von ihnen war Min Fang. Sie war vier Jahre älter, die Tochter einer Musiklehrerin und eines Arztes, ein Umstand, der sie, zusammen mit ihrer Angewohnheit, bei jeder Gelegenheit Lieder zu singen oder zu summen, die weder die Bauern noch ihre Anführer kannten, ebenfalls schnell zur Außenseiterin werden ließ, was sie jedoch kaum zu stören schien.
    Sie war groß und kräftig und behandelte den stotternden Da Long wie einen jüngeren Bruder, um den sich die Eltern zeitlebens Sorgen machen, und für den sie schon früh die Verantwortung übernehmen musste.
    Sie half ihm, wenn ihn bei der Ernte wieder einmal die Kräfte verließen und die Bauern ihn liegen lassen wollten. Sie war bei ihm, als er im folgenden Winter an einer Lungenentzündung erkrankte und viele Tage und Nächte zwischen Leben und Tod schwebte. Nicht mehr zu den Lebenden gehörend, noch nicht zu den Toten. Sie linderte sein Fieber mit kalten Umschlägen, sie rieb ihm Brust und Rücken mit Kräutermischungen ein. Als das Leben endgültig die Oberhand gewann und der Hunger zurückkehrte, teilte sie ihre dünne Reissuppe mit ihm, damit er schneller wieder zu Kräften käme.
    Sie wagte es, ihn zu verteidigen, als der Parteisekretär auf einer Versammlung bekannt gab, dass Da Longs Mutter und seine Schwester nach Hongkong geflohen seien, und dies als weiteren

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