Drachensturm
musste es wissen, denn er hatte an ihrer Seite gekämpft. Aber der Alte war kein Krieger, er fegte den Boden. Kemaq beschloss daher, keine Angst vor ihm zu haben. Ihm kam ein Gedanke: Melap ging hier aus und ein – vielleicht wusste er mehr über die Dinge, die in Chan Chan vorgefallen waren. Also fragte er ihn einfach.
Der Alte ließ den Besen ruhen und erklärte: » Es sind Fremde gekommen. Sie reiten auf geflügelten Schlangen, und sie brachten das Feuer über Chan Chan.« Dann kehrte er weiter.
Jetzt bekam Kemaq große Augen. » Gefiederte Schlangen?«, rief er laut aus. Er fand unfassbar, dass der Alte so ruhig blieb.
» Geflügelt, sagte ich«, berichtigte Melap, » und es wäre besser, du würdest deine Stimme dämpfen, junger Läufer.«
Kemaq verstummte. Er wusste ohnehin nicht, was er sagen sollte. Dafür sprach der Alte. Er war näher gekommen, sah Kemaq durchdringend an und fragte: » Dein Bruder ist ein Priester der Sonne, ist es nicht so?« Und als Kemaq nickte, fuhr er fort: » Ich sehe, dass dich das nicht mit dem Stolz erfüllt, den du vielleicht empfinden solltest. Und ich sah dich am alten Huaca, mehr als einmal. Du hast zu Tamachoc gesprochen, nicht wahr? Hängst du also noch dem alten Glauben an?«
Kemaq zögerte einen Augenblick. Es war gefährlich, zuzugeben, dass er zur Regenschlange betete, vor allem, da er sich in Intis Tempel befand. Der Sonnengott mochte zuhören.
Der Alte schnaubte verächtlich, als hätte er Kemaqs Gedanken erraten. » Dein Glaube scheint mir sehr schwach, Läufer, aber dennoch müssen wir später miteinander reden; über Tamachoc, auch über die Weissagung, aber nun eile.« Als Kemaq ihn nun völlig verwirrt anstarrte, schüttelte er unwillig den Kopf. » Hörst du nicht, dass man nach dir ruft, Chaski?«
Tatsächlich, eine vertraute Stimme wurde lauter, die seinen Namen rief. Es war die seines Bruders Qupay. Kemaq lief eilig aus dem Zimmer.
» Wo bleibst du nur?«, rief Qupay ärgerlich. Er wartete im Gang, der zur Eingangshalle führte. » Wie sieht das für mich aus, wenn mein Bruder den Hohepriester warten lässt?«
» Augenblick, mein Muschelhorn«, murmelte Kemaq als Ausrede und ging noch einmal zurück in die Kammer. Er wollte Melap fragen, was er über die Weissagung wusste, aber der Alte war nicht mehr dort. Er musste durch den zweiten Ausgang verschwunden sein, mit einer Schnelligkeit, die Kemaq ihm nicht zugetraut hätte.
Mila streckte sich in ihrer Hängematte, die Dietmar für sie aufgespannt hatte. Sie hatten auch Betten oder zumindest Matten entdeckt, die einem richtigen Bett sehr nahe kamen, aber Dietmar hatte ihr geradezu verboten, sie zu benutzen, und auf das Ungeziefer verwiesen, das sie sich dort holen könne, wo doch vor kurzem noch die Wilden darin geschlafen hätten! Mila ließ ihm seinen Willen, obwohl sie den Eindruck hatte, dass dieser Palast reinlicher war als alles, was sie im Reich, in Spanien, geschweige denn auf den Schiffen erlebt hatte. Sie war sich ziemlich sicher, dass hier zuvor Frauen gewohnt hatten, denn die Kammer atmete eine Behaglichkeit, mit der Männer, und vor allem Krieger, ihrer Erfahrung nach nicht viel anfangen konnten. Türen gab es nicht, nur schwere Vorhänge, mit denen der Eingang verhängt war. Ihre Augen mochten blind sein, aber sie hatte noch andere Sinne, und es roch hier entschieden besser als in ihren letzten Quartieren, sogar durch den alles überlagernden Brandgeruch hindurch, der immer noch durch die Stadt zog. Mila hatte eigentlich überhaupt nicht zu Bett gehen wollen, aber auch da hatte Dietmar gedrängt: Er habe schließlich dem Hochmeister, seinem Herrn, versprochen, dass die Comtesse eine gute und vor allem sichere Nacht hier verbringen würde. Jetzt war er in der Nebenkammer. Dort hätte er eigentlich Wache halten wollen, aber inzwischen hatte die Müdigkeit ihn doch übermannt, und sie hörte ihn leise schnarchen.
Mila fühlte sich eigenartig. Sie war todmüde, und doch fand sie weder Ruhe noch Schlaf, denn dazu war sie zu aufgeregt. Da draußen war die fremde Stadt: Aus der Ferne klangen vereinzelt die Rufe der Eingeborenen durch die weit vorangeschrittene Nacht, und Seevögel, ihrer Nistplätze beraubt, kreisten klagend über der Festung. Manchmal wurden Schritte im Gang laut, und meist waren es die schweren Schritte der gepanzerten Ritter oder Waffenknechte, die mit irgendeiner Meldung zu ihrem Onkel, dem Hochmeister, eilten. Gerade jetzt hasteten leichtere Tritte vorüber. Vermutlich
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