Drachensturm
sich, die Götter hätten mehrere Botenhäuser zerstört und die Läufer getötet«, sagte der Wortführer jetzt mit düsterer Stimme.
Die Bestürzung darüber war groß. Dass die große Stadt brannte, nun, das geschah in einiger Entfernung, aber wenn Läufer starben, dann betraf es sie selbst, ganz unmittelbar. Kemaq hätte gerne gewusst, woher der Mann seine Kenntnisse hatte, aber jetzt erschien der Läufermeister in der Tür und rief ihn hinein. Er war offensichtlich sehr schlecht gelaunt. Auf der Schwelle erfuhr Kemaq auch, warum: » Dein Bruder hat dich dem Hohepriester empfohlen«, zischte der Meister und drückte ihm ein kleines Bündel Kuka-Blätter in die Hand. » Inti wird wissen, warum er zulässt, dass jetzt alle gute Ordnung vergessen wird.«
Kemaq runzelte die Stirn. Kuka-Blätter? Die gab es nur, wenn es noch höher in die Berge ging, oder bei besonders wichtigen und eiligen Nachrichten. Was hatte Qupay da nur angerichtet? Aber er hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken, denn der Hohepriester winkte ihn heran. Er erkannte ihn zunächst kaum wieder, denn der heilige Mann hatte auf all den Schmuck, den er sonst immer trug, verzichtet. Jetzt blickte er Kemaq mit dunklen Augen prüfend an. Sofort fühlte Kemaq sich unwohl. Er sah sich vorsichtig um. Viele Priester waren anwesend, und dort hinten, an der goldgeschmückten Wand, stand der alte Ollamac, der Curaca der Stadt. Kemaq wunderte sich, dass dieser große und wichtige Mann das Reden offensichtlich dem Hohepriester überlassen wollte, und dieser ergriff nun endlich das Wort: » Dein Bruder sagte mir, dass du die schnellsten und ausdauerndsten Beine aller Chaski dieser Stadt hast, ist das wahr?«
Kemaq schluckte und wusste nicht, was er sagen sollte. An seiner Stelle antwortete Qupay: » Er hat dreimal den Wettlauf zu Ehren der Mondgöttin gewonnen, ehrwürdiger Huaxamac.«
» Und hat er dabei seine Zunge verschluckt?«, rief der Hohepriester ungehalten.
Qupay erbleichte, und Kemaq sagte schnell: » Ich bin bereit, die Botschaft entgegenzunehmen, Herr.«
Der Hohepriester sah ihn nachdenklich an. » Es ist aber keine Botschaft, wie du sie gewohnt bist, Chaski. Sie erfordert auch mehr als nur schnelle Beine. Ich nehme an, du hast schon das ein oder andere über die Geschehnisse im Tiefland gehört?«
Vorsichtig erwiderte Kemaq: » Nur Gerüchte, Herr.«
» Und die sagen?«, fragte Huaxamac streng nach.
» Die Stadt Chan Chan wird angegriffen. Von Göttern. Das sagen die Gerüchte, Herr«, setzte er eilig hinzu. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Qupay rot anlief.
Der Hohepriester nahm seine Antwort mit einem Seufzen hin. » Das ist es, was wir gehört haben. Die Läuferkette ist unterbrochen, und wenn wir nichts unternehmen, könnten Tage vergehen, bis wir wieder zuverlässige Nachricht aus der Stadt selbst erhalten. Bis jetzt wissen wir nur, dass Chan Chan brennt. Daher haben wir beschlossen, Männer zur Küste zu schicken. Und dein Bruder schlug vor, dass du einer dieser Späher sein sollst.«
» Ich, Herr?«, fragte Kemaq verblüfft.
» Du hast schnelle Beine, und das scheint mir wichtig für diese Aufgabe. Außerdem werde ich dir eine Botschaft mitgeben, für den Curaca oder, falls der tot sein sollte, für die Priester in Intis Tempel.«
» Ja, Herr. Wie lautet die Botschaft, die ich übermitteln soll?«
» Sag ihnen, der Sonnenaufgang ist nicht fern, und der Sohn der Sonne wird über den Bergen erscheinen und die Schatten der Nacht vertreiben. Wiederhole es.«
Kemaq tat, wie ihm geheißen, dann drückte ihm einer der niederen Priester einen Quipu in die Hand. Kemaq konnte die Knotenschrift nicht lesen, aber er kannte doch einige der Farben. Rot bedeutete, dass es um Krieger ging. Es gab viel Rot in diesem Quipu. » Verwahre ihn gut. Wir wissen nicht, wer der Feind ist, aber diese Schnur darf ihm nicht in die Hände fallen. Und du wirst mit niemandem außer einem Priester oder dem Curaca über das sprechen, was dich nach Chan Chan führt, oder, wenn du zurückkehrst, was du dort gesehen hast. Säume nicht. Die Sonne geht bald auf. Ich erwarte dich vor Anbruch der zweiten Nacht zurück. Du und dein Bruder, ihr bürgt mit euren Köpfen dafür.«
Kemaq begriff sofort, was der Hohepriester ihm soeben angedroht hatte. Sie würden beide sterben, wenn er versagte. Die kurze Knotenschur schien ungeheuer schwer zu sein, als er sie in seinem Gürtel verstaute. Er sah Qupays bleiches Gesicht. Sie waren Brüder, und auch wenn er zornig
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