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Drachensturm

Titel: Drachensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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einer der Diener, wie sie aus dem Klang der ledernen Stiefel schloss. Sie lehnte sich zurück. Die Nacht war voller Geräusche und Gerüche, für die sie keinen Namen hatte. Es war ein neues, unbekanntes Land, das noch kein weißer Mann – und auch keine Frau – zuvor betreten hatte. Selbst Francisco Pizarro war auf seinen vorherigen Reisen nie so weit nach Süden vorgedrungen. Sie würde ihrem Onkel nie vergessen, dass er sie in die Neue Welt mitgenommen hatte. Natürlich hatte er es zunächst abgelehnt, aber als sogar ihr Vater sich für sie eingesetzt hatte, doch nachgegeben. Mila würde alles dafür tun, dass er es weder jetzt noch überhaupt je bereuen würde. Sie hob den Kopf. Mehrere Männer schleppten jemanden durch den Gang, einen Indio. Er bat mit weinerlicher Stimme um Gnade, flehte sie an, für ihn bei Pachakamaq ein gutes Wort einzulegen. Die Männer hießen ihn zu schweigen, da sie kein Wort verstünden, und er hörte nicht auf, denn er verstand sie natürlich ebenso wenig wie sie ihn. Mila schlug die Decke zurück und schickte sich an, aufzustehen. Sie brauchten einen Übersetzer. Dann blieb sie sitzen. Fray Celso beherrschte die Sprache der Indios fast ebenso gut wie sie selbst, und ihr Onkel hatte klar zum Ausdruck gebracht, dass sie sich besser zurückhalten sollte, solange es sich irgend einrichten ließ. Es hatte in Panama genug Getuschel gegeben, als sie begonnen hatte, die Sprache dieses Volkes zu lernen, und nur ihre außerordentliche Sprachbegabung hatte den heimlichen Spott über die blinde Condesa, die sich in Männerdinge einmischte, verstummen lassen.
    Sie seufzte und versuchte eine bequemere Position in der Hängematte zu finden. Der Mönch würde schon zurechtkommen, auch wenn er selbst als Erster zugab, dass sie ihn als Dolmetscherin übertraf. Sie fragte sich wieder, ob sie auch ihre Begabung für fremde Sprachen jener Krankheit zu verdanken hatte, die ihr das Augenlicht genommen hatte. Eine Weile lauschte sie noch dem zweisprachigen sinnlosen Streit im Gang, dann waren die Stimmen verklungen. Halb hoffte sie, dass jemand käme, um sie um Hilfe zu bitten, aber diese Hoffnung wurde enttäuscht. Stille kehrte auf dem Gang ein. Vor dem offenen Fenster wurde es ruhiger, und vereinzelt schrillten die Rufe der Zikaden durch die Nacht. Sie hörte das leise Gurgeln des Wassers, das eingezwängt in einem halb versandeten Kanal träge Richtung Ozean floss. Sie fragte sich, ob es jenseits der hohen Mauern immer noch brannte. Bruder Celso hatte sie beruhigt und erklärt, dass dort nur ein paar Schilfdächer in Flammen aufgegangen waren und sicher nicht die ganze Stadt abbrennen würde. Sie seufzte wieder. Unter dem Fenster gingen schwere Schritte auf und ab. Männer unterhielten sich leise auf Spanisch. Sie bewachten den Haupteingang. Mila lauschte, aber das Murmeln des Wassers übertönte, was da geflüstert wurde. Sie zog in Erwägung aufzustehen und ans Fenster zu gehen, bis ihr einfiel, wie unhöflich das gewesen wäre. Außerdem fühlte sie, dass die Müdigkeit, die so tief in ihrem Körper saß, allmählich auch ihren unruhigen Geist erreichte. Die leisen Stimmen hatten etwas Beruhigendes. Es schien Don Mancebo zu sein, jener Ritter, den der Tressler in der großen Kammer als Morisco bezeichnete hatte. Es stimmt schon, dachte Mila, er war ein Maure, der seinem Irrglauben abgeschworen hatte und Christ geworden war, aber so, wie Graf Tassilo das Wort aussprach, klang es immer sehr abfällig. Er traute Don Mancebo offensichtlich nicht, und das, obwohl dieser schon sein halbes Leben lang ein Drachenritter war. Mila gähnte. Der Tressler traut eigentlich niemandem, vermutlich nicht einmal sich selbst, dachte sie noch, und dann glitt sie in den Schlaf hinüber.
    Etwas stimmte nicht! Sie schlug die blinden Augen auf und lauschte in die Finsternis. Sie hatte etwas gehört, etwas Beunruhigendes. Es wiederholte sich – es klang wie ein dumpfer Schlag, jedoch weit entfernt. Hatte sie es vielleicht nur geträumt? Einen Schrei hatte sie gehört. Vielleicht eine der Möwen? Lange konnte sie noch nicht geschlafen haben. Ein leiser Luftzug zog durch das Fenster und brachte einen Augenblick tiefer Stille mit. Sie hatte ein Gefühl, vage, unbestimmt, ein Unbehagen, das sich zuerst tief im Inneren bemerkbar machte. Etwas war geschehen! Vielleicht war es nur ein böser Traum gewesen, ein Albdruck, der sie verwirrte und an den sie sich schon nicht mehr erinnern konnte. Die Zikaden setzten wieder ein, und für

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