Drachensturm
Und Reschef ist über dem Dschungel verschwunden, nicht hier!«
» Habt ihr etwas gehört? Einen fremden, irgendwie doppelten Flötenton vielleicht?«, fragte Mila, die wieder an das dachte, was Schamasch widerfahren war.
» Dieser Urwald ist voller Geräusche, Condesa«, erklärte Don Mancebo freundlich, » und eines ist fremdartiger als das andere. Ich habe dunkle Rufe gehört, die vielleicht von Vögeln stammen, und etwas, das klang wie das Brüllen einer Raubkatze. Gott allein weiß, was für Tiere dort unten hausen.«
» Es ist seltsam«, antwortete sie, » aber mir scheint fast, dieser Wald würde auf uns warten.«
» Nein, nicht der Wald, Mila«, sagte Nabu plötzlich, » aber etwas in diesem Wald! Ich spüre es auch. Vertraut, und doch fremd. Aber ich bin nicht sicher, ob es auf uns wartet.«
46 . Tag
Der Bach teilte sich. Kemaq stand am Ufer des Gewässers und starrte hinein. Der Morgen war angebrochen, und nach einer furchtbaren Nacht voller Wurzeln, Dornenbüsche und unheimlicher Geräusche konnte Kemaq endlich wieder etwas sehen. Doch warum musste das Erste, was er sah, diese Gabelung sein? Pitumi hatte ihm gesagt, er solle dem Bach folgen, bis er in einen Fluss münde, dann stromaufwärts gehen. Er seufzte, stieg in den Bachlauf und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Vielleicht würde der Gott dieses Baches ihm eingeben, wohin er sich wenden musste. Doch was immer der Gott zu sagen hatte, Kemaq verstand ihn nicht. Er stieg wieder an Land, suchte sich einen geeigneten Baum und kletterte hinauf, um sich umzusehen. Auf halber Strecke gab er auf. Es gab nichts anderes außer Bäumen und noch mehr Bäumen. Er kletterte wieder hinab und beschloss, einfach einem der beiden Bachläufe zu folgen. Wahrscheinlich fließen sie bald wieder zusammen, sagte er sich, und deshalb haben weder Payakmama noch Pitumi es erwähnt.
Er kämpfte sich weiter durch das Dickicht, was auch bei Tag nicht viel einfacher war als in der Nacht. Er hielt sich an den linken der beiden Bachläufe, einfach aus einem Gefühl heraus, doch je weiter er vordrang, desto dichter schien dieser Wald zu werden. Unter dem lückenlosen Blätterdach war es stickig, und als die Sonne aufging, war es bereits so warm, dass der Dschungel dampfte. Kemaq sah ein, dass er dem falschen Weg gefolgt war. Hier ist noch nie im Leben ein Mensch gewesen, dachte er, schon gar kein Priester des Tamachoc. Er wandte sich nach rechts. Bereits in der Nacht hatte er einen Ast aufgehoben, mit dem er sich nun eine Bresche durch das Unterholz zu bahnen versuchte. Es ging nur langsam voran, die Feuchtigkeit, die aus der Erde aufstieg, verdichtete sich zu einem schwer zwischen den Ästen hängenden Nebel. Kemaq begann zu rechnen: Seine Feinde waren in der Nacht weit zurückgefallen, aber auch er war in diesem Wald nicht sehr gut vorangekommen. Er gestand sich ein, dass er wohl nur ein Zehntel der Strecke zurückgelegt hatte, die er am Tag geschafft hätte. Er durfte sich also nicht zu sicher fühlen. Endlich hörte er das Murmeln des zweiten Bachlaufs. Erleichtert setzte er seinen Weg fort, aber plötzlich blieb er stehen. Das war nicht nur der Bach, den er dort hörte, da sprachen Menschen!
Beim ersten Licht des Tages machten sich die Drachen bereit zum Aufbruch. Nergal und Behemoth waren in der Nacht doch noch zu ihnen gestoßen, ohne ein Wort zu sagen. Behemoth war der Erste, der am Morgen wieder aufbrach, und Mila fühlte seine Wut. Nergal schickte sich an, ihm zu folgen, aber er wandte sich noch einmal um und sagte: » Unser Bund mit den Menschen wurde verraten, die Eide gelten nicht mehr. Sind wir darin einig?«
Amun-Ra stimmte zögernd zu, während die anderen Drachen und auch die Ritter schwiegen.
» Dann weiß ich nicht, warum ihr euch noch mit diesen Menschen belastet, die sich Drachenritter nennen.«
» Es sind nicht alle Menschen unsere Feinde«, erklärte Amun-Ra.
Nergal schnaubte verächtlich, dann sagte er: » Ich für meinen Teil betrachte diese Ritter nicht mehr als Freunde. Mit dem Tod Marduks sind auch Jahrhunderte der Knechtschaft zu Ende gegangen.«
» Nergal!«, rief Don Gómez. » Ihr wart doch niemals unsere Knechte!«
Aber Nergal zischte und sagte: » Auch der Friedenseid, den Marduk uns abverlangt hat, der Eid, der uns daran hinderte, unsere alten Streitigkeiten ein für alle Mal auf ehrliche Art zu beenden, ist mit Marduks Tod erloschen. Halte dich also von mir fern, Nabu Einzahn!« Und dann flog er mit einem heiseren Brüllen davon.
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