Drachensturm
flau geworden. Was war da geschehen? Die Neugier zog ihn in die Richtung, aus der er den Aufprall gehört zu haben glaubte. Dann blieb er doch stehen. In dieser Finsternis würde er kaum etwas finden, und er hatte einen Auftrag, den er erfüllen musste. Er tastete sich weiter voran, zwischen den Baumriesen hindurch, und folgte dem Murmeln des Baches immer weiter hinein in diesen finsteren Dschungel.
Mila war von Nabus Rücken gestiegen, obwohl er meinte, das sei nicht ungefährlich. Die Verbindung hatte sie damit verloren. Sie stand nun auf einer Mauer, ließ den Wind durch ihre Haare streichen und versuchte, die Schwermut, die über dieser verlassenen Siedlung lag, abzuschütteln. Pflanzen hatten in den Fugen der Steine Platz gefunden, Baumwurzeln hatten sogar Mauern zum Einsturz gebracht, und wenn sie die Hand über die Steine streichen ließ, fühlte sie, dass lange niemand mehr hier gewesen war. Sie fragte sich, wer diesen Ort besiedelt hatte, so hoch oben, und warum er wieder verlassen worden war. Der Wind war warm, selbst nachts, und das verriet ihr mehr als alles andere, dass sie das Hochland endlich hinter sich gelassen hatten, und dass dieser Berg, gemessen an den Riesen, die sie schon überwunden hatten, nur ein Hügel war. Meister Albrecht hätte vermutlich die genaue Höhe zu sagen gewusst.
Sie biss sich grimmig auf die Lippen. Der Gelehrte hatte sie benutzt und verraten, und er hatte noch weit schlimmere Dinge getan: Don Mancebo hatte die Häuser untersucht, in denen der Alchemist sein Labor eingerichtet hatte. Er war erschüttert zurückgekehrt, denn offenbar hatte der Gelehrte dort drei Indios zu Tode gefoltert. Er war skrupellos. Damit passt er perfekt zu den Pizarros, dachte sie, und zu Konrad von Wolfegg. Dieser hatte dem Alchemisten geholfen und Marduk getötet, vermutlich auch Felipe damals vor Chan Chan. Es war ein Fehler gewesen, zu rasten, all die unbewältigten Gedanken und Gefühle kamen wieder hoch, und plötzlich stand ihr das Bild ihres Großonkels vor Augen. Sie hatte ihn nie richtig gesehen, auch nicht durch Nabus Augen, aber sie hatte sein würdevolles Gesicht ertastet, als sie viel jünger gewesen war. Jetzt war er tot. Sie atmete tief durch und versuchte, an etwas anderes zu denken.
Weit unten war der erbitterte Kampf zwischen Spaniern und Indios immer noch im Gange. Sie konnte hören, was sie durch die Wolkendecke nicht hätte sehen können. Der Kampf wanderte langsam bergab, so kam es ihr zumindest vor. Diese Indios waren tapfer, und sie waren schlau, wenn sie es verstanden, den Nebel zu ihrem Vorteil zu nutzen. Dennoch waren sie den Konquistadoren hoffnungslos unterlegen. Ihre plumpen Keulen, ihre Bronzemesser, die steingespickten Schwerter aus Hartholz – das waren keine Waffen, die einem Harnisch oder Helm aus Eisen gefährlich werden konnten. Mila fragte sich, ob diese Krieger Chachapoya waren, oder ob sie, wie die Spanier, von jenseits der hohen Berge gekommen waren. Die alte Mocto hatte etwas darüber gesagt. Mila war froh, als Nabu nach ihr rief.
» Was gibt es?«, fragte sie.
» Unsere Brüder kommen, Prinzessin«, sagte er.
Jetzt hörte sie sie auch, mit leisen Rufen näherten sie sich der verlassenen Stadt. Sie kehrte zu Nabu zurück.
» Der Schwarze Nergal und Behemoth wollten nicht zurückkehren. Sie sind immer noch dort unten«, berichtete Don Alfonso. » Und Reschef konnte ich nicht finden.«
Mila runzelte die Stirn. Reschef war ein schneller Flieger, der sich gerne aus allem heraushielt. Und sein Ritter, Don Xavier de Jerez, war ein sehr zurückhaltender Mensch, mit dem Mila, seit sie ihn kannte, noch keine zwei Worte gewechselt hatte.
» Ich sah Reschef tief über dem Wald nach Osten fliegen«, berichtete Ianus. » Vielleicht hat er etwas gefunden.«
» Dann hätte er sich doch gemeldet, oder?«, fragte Don Mancebo.
» Ich spüre ihn nicht mehr«, sagte Nabu plötzlich.
Die anderen Drachen verfielen in tiefes Schweigen. Mila ahnte, dass sie in sich hineinhorchten. » Ja«, verkündete Baal düster, » ich kann seine Flamme nicht mehr finden. Es muss ihm etwas zugestoßen sein. Vielleicht haben die Spanier ihn getötet.«
» Im Osten? Wie sollte das möglich sein?«, fragte Amun-Ra, nachdem die Drachen eine Weile geschwiegen hatten.
» Wir wurden gewarnt vor diesen Bergen«, meinte Nabu langsam.
» Hört auf!«, rief Don Gómez jetzt. » Ihr macht euch selbst verrückt. Sind wir nicht gerade auf einem der Berge, vor denen wir angeblich gewarnt wurden?
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