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Drachensturm

Titel: Drachensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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eine tiefe Schwermut, die über diesem Ort zu hängen schien wie eine düstere Wolke. Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, hier zu landen, dachte sie, aber da setzte Nabu schon auf.
    Der Hang zog sich länger hin, als Kemaq gedacht hatte. Wenn er sich umdrehte, sah es so aus, als würde der Nebel ihm folgen – als ob die Wolken, die die Schlacht hinter ihm zugedeckt hatten, vom nächtlichen Himmel mit ihm ins Tal hinabstiegen. Der Schlachtenlärm war leiser geworden, aber auch nachdem Rumi-Nahui gefallen war, schienen seine Krieger nicht aufzugeben. Immer wieder hörte er Schüsse und Kriegsschreie, auch wenn sie weiter und weiter zurückzubleiben schienen. Endlich, es war schon weit nach Mitternacht, lag der Wald vor ihm. Die Berge waren weit zurückgetreten und der lange Hang schließlich in eine Ebene übergegangen. Zunächst traf er auf einzelne Baumgruppen, die sich in die Ebene hinausgewagt hatten, dann wurden diese Gruppen zu kleinen Wäldchen, und endlich war es eine dichte Wand aus schwarzen Baumriesen, die ihn schweigend erwarteten. Kemaq wurde langsamer. Er sah die bleiche Sichel des Mondes hoch am Himmel stehen. Der Wald gefiel ihm nicht. Seltsame Laute drangen heraus – er hoffte, dass sie nur von Tieren stammten. Aber war nicht auch der gefürchtete Jaguar ein Tier, das in diesen Wäldern lebte? Er seufzte. Der Bach, dem er nun so lange gefolgt war, floss hinein, also musste er ihm folgen. Er holte noch einmal tief Luft, als würde er in ein Gewässer eintauchen, und dann hinkte er in den dunklen Wald hinein.
    Es herrschte Finsternis, und er war kaum in den Dschungel eingetreten, als er schon über die ersten Wurzeln stolperte. Er fluchte. Irgendwo über ihm stand der Mond, aber er konnte ihn durch das dichte Blättergewirr nicht mehr sehen. Seine Hand fuhr zum Gürtel. Er trug nach wie vor die beiden Kienspäne bei sich, und sie blieben nutzlos, denn er verfügte immer noch weder über Feuer noch Feuerstein oder sonst irgendein Werkzeug, um sie zu entzünden. Er tastete sich hinüber zum Bach, weil er dachte, er könne vielleicht einfach seinem Lauf folgen, aber die Bäume streckten ihre Wurzeln ins Wasser und drängten ihn ab. Dann stieg er sogar in den Bach, weil er dachte, er käme dort voran, aber auch unter Wasser hatten sich zahlreiche Wurzeln einen Weg ins Bett gegraben. Als er zum dritten Mal gestolpert war, gab er es auf. Er kroch zurück ans Ufer und tastete sich weiter voran. Wenig später hörte er ein seltsames Schnüffeln, ganz in der Nähe. Ein Tier suchte offenbar den Boden ab, dann hörte er das leise Zischen einer Schlange. Gab es hier Giftschlangen? Er wusste es nicht. Irgendwo im Dunkel knackte ein Ast, und ein größeres Tier schien nicht weit entfernt durch den Wald zu hasten. Er fragte sich, wie es seinen Weg unter diesen Bäumen fand. Er starrte in die lichtlose Finsternis. Die Priester der Marachuna waren doch hier gewesen, sie waren sicher nicht so durch das Unterholz gekrochen wie er. Es musste einen Weg geben, wenigstens einen Trampelpfad! Nur wie sollte er den ohne Feuer finden? Er fluchte noch einmal.
    Ein Baumriese versperrte ihm den Weg. Kemaq überlegte. Es war eigentlich sinnlos, weiter in dieser Dunkelheit herumzuirren. Er könnte sich einen sicheren Platz suchen und warten, bis das Morgengrauen ihm erlaubte, seinen Weg fortzusetzen. Das konnte doch nur wenige Stunden dauern. Leider würde die Sonne auch für seine Feinde aufgehen, und der Vorsprung, den er herausgelaufen hatte, wäre dahin. Er seufzte noch einmal, dann lauschte er auf das Geräusch des Baches. Das war das einzige Zeichen, dem er folgen konnte. Er stolperte weiter in den lichtlosen Dschungel hinein. Etwas später hörte er einen Ton, der, obwohl er nicht laut war, alle fremden Tierstimmen erst durchdrang und dann verstummen ließ. Es wurde gespenstisch still im Wald. Nur die Bäume knarrten noch unter leichtem Wind. Der Ton war seltsam, falsch, schien aus zwei Tönen auf einmal zu bestehen, und Kemaq hielt sich die Ohren zu, weil ihn plötzlich ein Schwindelgefühl packte. Dennoch hörte er dann einen klagenden Ruf, der vom Himmel kam und jäh mit einem dumpfen Aufprall in brechendem Gehölz verstummte. Eine Erschütterung lief durch den Wald, Blätter rauschten, Vögel flogen auf, und allerlei Getier schimpfte und schrie in Lauten, die Kemaq vor dieser Nacht noch nie gehört hatte. Der durchdringende Ton war verklungen.
    Kemaq nahm die Hände von den Ohren und schüttelte sich. Ihm war ganz

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