Drachensturm
Dschungel, und das hieß: Feinde. Sie ertastete hoch aus dem Boden gewachsene Wurzeln zu ihrer Rechten und versteckte sich dahinter. Ihr linker Arm war bis zur Schulter taub.
» Der verfluchte Nabu liegt dort vorn. Sie kann nicht weit sein«, sagte eine Stimme, die ihr wohlbekannt war. Sie gehörte Konrad von Wolfegg. Doch noch entsetzlicher war, was er gesagt hatte. War Nabu etwa … Mila wollte den Gedanken nicht zu Ende denken.
» Lass sie«, antwortete eine andere Stimme, es war Balian. » Wir sollten uns verschanzen, bis die anderen hier sind. Es zieht schon wieder dieser verfluchte Nebel auf.«
» Ich weiß aber, dass sie irgendwo hier sein muss«, erwiderte Konrad wütend.
» Sie wird tot sein, so wie ihr Drache«, meinte Balian begütigend.
» Das glaube ich erst, wenn ich ihre Leiche gesehen habe«, rief sein jüngerer Bruder unwillig.
Tränen stiegen Mila in die Augen. Konnte das sein? Nabu war tot?
» Schlimm genug, dass wir deswegen die anderen verlassen haben«, brummte Balian. » Sie ist doch keine Gefahr mehr.«
» Ich habe dich nicht gezwungen, mitzukommen«, erwiderte Konrad kalt.
» Ich konnte dich schlecht allein gehen lassen«, sagte Balian. Es klang … hilflos, und Mila begriff endlich, dass nicht Balian, sondern Konrad die treibende Kraft ihrer Verschwörung war. Es waren noch mehr Männer mit ihnen gekommen. Aber sie trugen keine schweren Stiefel.
» Vorsicht, da!«, rief Balian plötzlich, und Sekunden später krachte seine Pistole.
Kriegsgeschrei ertönte, für einen kurzen Augenblick schien zwischen den Bäumen gekämpft zu werden, ein Keuchen, ein ersticktes Stöhnen, dann wurde es still.
» Hast du ihn erwischt? Hast du ihn erwischt?«, rief Konrad.
» Nein, habe ich nicht«, sagte sein Bruder mit gepresster Stimme. » Aber er hat einen von unseren Yunga erledigt. Verdammt sollen diese Wilden sein.«
» Wald ist böse«, sagte jemand in gebrochenem Spanisch. » Sehr böse. Wir gehen.«
» Ihr bleibt, Mann. Der Alchemist, Kuka Machu, verstehst du? Er sagt, es kann nicht mehr weit sein.«
» Kuka Machu ist nicht hier. Nur er hat Götterfeuer, schützt uns. Wir gehen«, antwortete der Indio.
» Jeder, der geht, bekommt den Zorn meines Donnerrohrs zu spüren, verstanden?«, herrschte Balian den Indio an.
Ein Indio schrie auf. » Ankay Yaya! Ankay Yaya!«
Da hörte Mila schon selbst die großen Flügel heranrauschen, und dann rannten die Indios davon. » Bleibt hier, ihr Feiglinge!«, brüllte Balian. Dann verstummte er.
Mila spürte den Wind der Flügel, als der große Drache mit einem tiefen Grollen in der Kehle inmitten der gestürzten Bäume aufsetzte.
» Behemoth«, flüsterte Balian.
» Halte ihn hin, Bruder«, raunte ihm Konrad zu. Mila hörte, dass er mit irgendetwas Metallischem hantierte.
» Behemoth«, wiederholte Balian, es klang beinahe wehmütig.
Der Drache knurrte. » Ich sah Nabu fallen, und wo Drachen fallen, bist du nicht weit, Balian, der du mein Reiter warst.« Ein Zittern lief durch das Blattwerk und selbst durch den Boden, als er sprach.
» Aber Behemoth, damit habe ich nichts zu tun!«
» Du hast uns verraten«, stellte der Drache düster fest.
» Nein, nein«, rief Balian. » Es war diese Hexe! Sie hat Nabu und die anderen gegen die Spanier aufgehetzt.«
Mila hörte ein Geräusch, das sie nur zu gut kannte. Der Drache holte zischend Luft, wie er es immer tat, bevor er Feuer spie. Mila schrie erschrocken auf, aber ihr Schrei erstickte, weil ihr jemand eine Hand auf den Mund legte. Plötzlich knackte ein Gewehrschloss.
» Konrad, nein!«, schrie Balian.
Dann spie der Drache sein Feuer. Jemand warf sich auf Mila, wie um sie zu schützen, und sie stöhnte laut auf, weil er auf ihre geschundenen Rippen drückte. Die Feuerwalze rollte über Mila hinweg, raubte ihr den Atem, setzte Bäume und Buschwerk in Brand. Ein Mann schrie entsetzt auf. Plötzlich krachte aus der Mitte des Infernos heraus ein lauter Schuss, und der gewaltige Feuerstoß erstarb in einem schmerzvollen Knurren. Jemand stöhnte, hustete, und schwere Stiefel stolperten durch das brennende Unterholz davon. Flammen knisterten, Behemoth atmete röchelnd, sonst war es totenstill im Wald.
» Kannst du laufen?«, fragte eine Stimme. Sie sprach Quechua und klang besorgt.
Mila nickte, rührte sich aber nicht. » Was ist geschehen?«, fragte sie.
» Der Gott stirbt. Der Mann, mit dem er sprach, ist tot, der andere, der jüngere, schleuderte den Donner nach dem Gott. Er ist
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