Drachensturm
gegen einen Stamm prallte. Sie stürzte hinab, schrie, krachte durch Zweige und Blätter, schlug mit der Brust hart gegen einen starken Ast, schrie wieder, wirbelte herum, fiel – und dann schwanden ihr die Sinne.
Kemaq rannte, aber der alles durchdringende Ton holte ihn ein. Er hielt sich die Ohren zu, wie es ihm der Chachapoya geraten hatte, aber es half kaum. Ihm wurde flau im Magen. Er blieb stehen, denn er hörte ein Stöhnen und einen hellen Schrei und blickte auf. Da kam etwas aus dem Himmel herab. Ungläubig starrte er nach oben. Ein gewaltiger Schatten raste taumelnd über ihn hinweg, durchbrach das Blätterdach, knickte Äste und ließ ganze Bäume zersplittern. Er brach tief in den Wald ein; der mächtige Leib wurde gegen fast ebenso gewaltige Stämme geschleudert, drehte sich, röchelte erstickt und walzte eine ganze Reihe junger Bäume nieder, bevor er dumpf auf der Erde aufschlug. Und dann erklang noch ein Schrei – hoch oben. Kemaq sah die goldhaarige Fremde. Sie wurde weit durch die Luft geschleudert, verschwand in einer Baumkrone und stürzte hinab. Er zuckte unwillkürlich zusammen, als er hörte, wie ihr Leib durch das Geäst brach, und dann schrie sie nicht mehr, und er verlor sie im dichten Gewirr der Äste aus den Augen.
Einen Atemzug lang blieb Kemaq wie erstarrt stehen. Dann hinkte er los und kämpfte sich durch das Buschwerk. Die Fremde würde seine Hilfe brauchen – wenn sie überhaupt überlebt hatte. Jäh blieb er stehen, denn vor ihm endete der Boden plötzlich – vielmehr brach er plötzlich ab. Ein paar Schritte weiter links sprang der Bach über einige Stufen hinab in eine weite Senke. Ein Stück entfernt schimmerte das Wasser des Flusses durch die Bäume. Als er noch darüber nachdachte, hinabzusteigen, fragte eine Stimme: » Hast du nicht einen Auftrag, Chaski?«
» Pitumi? Wie … wie kommst du so schnell hierher?«
Sie lächelte kalt. » Um die Fremde werden wir uns kümmern, falls es nötig ist.«
» Ich will nicht, dass ihr etwas geschieht!«, erklärte Kemaq.
Kemaq glaubte, eine Mischung aus Verwunderung und Herablassung in Pitumis bemaltem Gesicht zu sehen. Sie antwortete: » Ich sage es noch einmal – kümmere du dich um deine Aufgaben, wir kümmern uns um unsere!«
Kemaq zögerte. Pitumi hatte Recht. Viele Menschen waren schon gestorben, weil sie den Regenstein wollten. Die Fremde war nur eine weitere. Aber es widerstrebte ihm, sie hilflos irgendwo dort unten liegen zu lassen. Plötzlich erschien ein anderer Chachapoya aus dem Nichts neben Pitumi. Es war der Grauhaarige. » Die Fremden kommen«, raunte er, und dann verschwand er wieder. Nebel zog auf.
» Lauf, Chaski, wir versuchen sie aufzuhalten.«
Kemaq hörte die schweren Schritte der Fremden im Unterholz. Es schienen auch einige Yunga bei ihnen zu sein. Er zögerte immer noch.
Pitumi packte ihn am Arm, sah ihm tief in die Augen und sagte: » Ich kann dir nicht noch einmal helfen, denn hier beginnt schon das verbotene Land. Aber wir halten sie so lange auf, wie wir können. Also lauf!« Sie wies in eine Richtung. Kemaq sah einen Tierschädel, der dort an einen Baum genagelt war. Er schluckte und lief los. Was blieb ihm auch anderes übrig?
Dunkelheit umgab Mila, als sie wieder zu sich kam. Sie wusste zuerst nicht, wo sie war und was geschehen war. Sie richtete sich auf und fühlte einen stechenden Schmerz in den Rippen. Leise stöhnend sank sie wieder zurück. Der Flug, der Sturz – sie wusste es wieder. » Nabu?«, rief sie leise. Der Drache antwortete nicht. Ihr Kopf dröhnte. Sie versuchte noch einmal vorsichtig, sich aufzusetzen. Ihr linker Arm war ganz ohne Gefühl, als sei er gar nicht da. Für einen kurzen Augenblick dachte sie verwirrt, er sei ihr vielleicht abgerissen worden, aber er hing noch schlaff an ihrer Schulter. Sie betastete sich mit der Rechten. Ihre Rüstung war über den Rippen eingedrückt. Mühsam schaffte sie es, die Riemen mit einer Hand zu lösen und den Brustharnisch abzustreifen. So war es besser, viel besser. Sie lauschte in die sie umgebende Finsternis. Die fremdartigen Vogelstimmen drangen heran, die seltsamen Geräusche anderer Tiere. Feuchtigkeit tropfte von den Bäumen, und im Laub, das den Boden deckte, raschelten Spinnen und Insekten. Da war noch etwas, menschliche Füße, die durch das Dickicht schlichen. Sie tastete vergeblich nach ihrem Stab. Wo war Nabu? Warum hatte er ihr nicht geantwortet? Jetzt konnte sie nicht nach ihm rufen, denn da schlichen Männer durch den
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