Drachentau
Ohr, die tief in ihr Herz floss und von dort ihren ganzen Körper zum Schwingen brachte. Rosa wurde leicht. Sie summte die Melodie mit und begann zu strahlen. Es war das uralte Lied der Sterne, das sie von Anbeginn der Zeiten sangen, und Rosa war, als hätte sie es schon immer gekannt. In ihr entlud sich ein Feuerwerk, versetzte sie in einen Glückstaumel. In das Glück, das man empfindet, wenn man plötzlich sieht, dass man Teil eines großen Ganzen ist, ein Puzzleteil in einem wunderschönen Bild.
Vor dem Vollmond tauchte der Gipfel des einsamen Berges auf. Viel zu schnell hatten sie ihr Ziel erreicht. Tumaros flog einen Bogen um den Berg herum und landete im Höhleneingang.
»Bitte schön, dein neues Zuhause«, sagte er und streckte seinen Flügel abermals aus.
Atemlos kletterte sie herunter. »Tumaros, das war das Schönste, was ich je erlebt habe. Können wir auch einmal bei Tage fliegen, damit ich die Landschaft sehe?«
Tumaros schüttelte den Kopf. »Bei Tage nicht, aber in der Dämmerung, wenn du magst. Gleich morgen?«
»Oh ja bitte. Gleich morgen.«
Rosa schaute sich um. Der Eingang war riesig für einen Bären, gerade groß genug für einen Drachen. In der Höhle war es stockdunkel, aber Tumaros hatte bedacht, dass ihre Augen schlechter sahen als seine, und zündete mit einem kleinen, wohlbemessenen Feuerstrahl eine Fackel an. Drachen sind stets Herr über ihr Feuer und können es sehr präzise einsetzen.
Die Höhle roch modrig. Überall waren Knochen verteilt, auch Knochen von Bären. Rosa schauderte es, als sie die sah, schob den Gedanken aber rasch beiseite. Die Ausmaße der Höhle ließen sich im Dunkeln nicht ausmachen. Auch das Fackellicht änderte das nicht. Der Hall verriet, dass sie riesig sein musste.
»Kann man bei Tageslicht hier mehr sehen?«, fragte Rosa.
»Ja, wenn die Sonne aufgeht, scheint sie direkt hier herein. Dann kannst du auch meinen Schatz sehen.«
Rosa zog die Augenbrauen hoch. »Du hast einen Schatz?«
Tumaros lachte laut. »Natürlich habe ich einen Schatz. Ich bin ein Drache.« Er sah sie an. »Aber mein größter Schatz bist du.«
Rosa ging auf ihn zu und schmiegte ihren Kopf an seinen harten Panzer. Tumaros beugte sich runter und berührte sie mit seinen Nüstern.
»Zeit, schlafen zu gehen. Die Nacht ist alt geworden.« Er legte sich hin und rollte sich ein.
»Wo ist mein Schlafplatz?«
Schlafplatz?
An so etwas hatte Tumaros nicht gedacht. »Leg dich einfach irgendwo hin.«
»Das kann ich nicht. Ich brauche eine Decke und ein weiches Kissen.«
»Hab ich nicht.«
»Kann ich denn meinen Kopf auf deine Nüstern legen?«
Das schien der einzige weiche Platz in dieser Felsengrotte zu sein. Tumaros schnaubte zustimmend. Rosa legte sich zu ihm. Sie rollte sich einige Male hin und her, bis sie endlich eine gemütliche Schlafposition hatte. Der Boden war hart, aber Tumaros Nase wunderbar weich. Es war sehr ungewohnt, für beide. Ihre erste gemeinsame Nacht. Tumaros sah, dass sie noch viel schöner war, als in seinen Träumen und fand schnell Gefallen daran. Für Rosa war es der sicherste und zugleich gefährlichste Platz der Welt. Sie schloss die Augen und ließ ihre Gedanken vorbei huschen. So viel war geschehen. Schnell nahm die Müdigkeit sie fest in den Griff und brachte ihr einen tiefen Schlaf.
Die Sonne stand schon auf Mittag, als Rosa erwachte. Ihre Knochen taten weh vom Liegen auf hartem Felsen. Sie wusste erst nicht, wo sie war, und setzte sich auf. Tumaros rührte sich nicht. Sie sah ihn an und erinnerte sich. Was war das nur für ein Tag gewesen? Sie wollte das Dorf verlassen, war zurückgekommen und hatte im letzten Augenblick Tumaros getroffen. Die Begegnungen von gestern, der Streit mit Jakob, das Gespräch mit dem Blumenelf Lobelius, verhallten in ihr, als gehörten sie nicht in diese Welt. Wie hatten sie Tumaros genannt? Ein Ungeheuer? Sie hatten keine Ahnung. Er war prächtig, stark und unbesiegbar. Sie berührte ihn sanft. Er regte sich nicht. Das rechte Auge war geschlossen, das linke blickte sie an.
Merkwürdig,
dachte Rosa.
Sie stand auf und sah sich in der Höhle um. Auch bei Tageslicht konnte man die Ausmaße nur ahnen. Sie ging tiefer in die Höhle hinein. Im rechten hinteren Teil war ein kleines Tor in eine Kammer, etwa so groß wie Jakobs Hütte. Ein Drache konnte hier nicht hindurch gelangen. Sie lag im Halbdunkeln, schien aber etwas Gemütliches zu haben. Rosa nahm eine Fackel und schaute sich um. Hier könnte man was draus machen. Sie
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