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Drachentau

Drachentau

Titel: Drachentau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Roose
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die Bäume vor ihm, eine Wand mit tausend Poren, durch die man jederzeit verschwinden konnte, die sich hinter einem wieder verschloss und unsichtbar machte. Das Grün der Bäume umarmte ihn, war wie ein Magnet, der die eiserne Unruhe aus dem Herzen zog. Bernhard atmete tief und noch mal tiefer, jeder Atemzug füllte seinen Körper mit Luft, ließ ihn sich leicht fühlen. Der Drache hinter ihm verlor seinen Schrecken. Die Poren des Waldes atmeten Bernhard ein, legten sich um ihn, machten ihn unerreichbar für jede Gefahr.
So schön ist der Wald und er war so nah,
dachte Bernhard und stand noch immer still.
    Rosa legte ihre Hand auf seinen Arm. »Es ist schön, nicht wahr? Komm, wir müssen heute Abend wieder zu Hause sein.«
    Er zeigte auf den Weg, den Tumaros freigelegt hatte. »Wer hat den Wald da kaputtgemacht?«
    Rosa lachte. »Das ist unser Weg. Jetzt aber los.«
    Sie gingen der aufgehenden Sonne entgegen. Der Weg war nicht einfach zu nehmen. Große Krater erschwerten das Vorwärtskommen. Die ungeübten Beine wehrten sich gegen die fremden Bewegungen. Rosa nahm Bernhard und Letizia an die Hand. Emil und Ella fassten sich an, und so marschierten sie, eingezäunt von dichten Baumreihen.
    »Schaut nicht zur Seite, nur geradeaus. Achtet auf eure Füße, dass ihr nicht fallt und hört nicht auf die Geräusche«, sagte Rosa im strengen Tonfall. Aber sie schauten und was sie sahen, beruhigte die Gemüter nicht. Hatte der Weg allein noch genug Licht, war die Dunkelheit zwischen den Bäumen nur schwer zu ertragen. Ab und zu sah man ein Augenpaar, das sie anstarrte. Hin und wieder lichtete sich das Unterholz und wich einer Moosdecke. Dann konnte man tiefer in den Wald hineinsehen, aber auch dort glich er einem alles in sich aufsaugenden, schwarzen Loch. Schlimmer jedoch als die Dunkelheit waren die Geräusche. Fauchen, Knurren und stampfende Schritte ließen sie immer wieder aufschreien und sich ängstlich bei Rosa festhalten. Doch keiner der Waldbewohner wagte es, den Weg zu betreten, denn sie hatten gesehen, wer ihn schuf. Mit dem wollten sie es nicht zu tun bekommen.
    Die Müdigkeit kam schneller als gedacht. Sie pressten die Lippen aufeinander und gingen weiter. Es waren etwa fünfzehn Kilometer, die sie zurücklegen mussten, stetig bergab.
    Bernhard hatte Angst, auch nur eine winzige Kleinigkeit dieser fremden Umgebung zu verpassen. Er achtete auf alles, nur nicht auf seine Füße und immer wieder fing Rosa ihn gerade noch auf, wenn er stolperte.
    Nach gut zwei Stunden endete der Weg abrupt und zwischen den Bäumen wurde ein schmaler Pfad sichtbar. Im Gänsemarsch gingen sie weiter, Ella und Emil vorne, Rosa bildete den Schluss. Die Zweige der Bäume und Büsche streiften ihre Gesichter. Ella schrie auf und fuchtelte mit den Armen, wenn ihr Tiere über den Pelz liefen. Die Baumkronen überdachten die Dunkelheit. Fast befürchteten sie, sie hätten sich verlaufen, als der Wald einer kleinen Lichtung wich. Rosa sah die satten Eschen im Kreis stehen und erinnerte sich. Hier war ihr letzter Tag in Freiheit gewesen. Sie ging ein paar Schritte auf die Lichtung und hielt Ausschau nach Lobelius. Feiner Nebel lag zwischen den Eschen. Sonnenstrahlen brachen sich darin wie ein seichter Schleier, leicht zu durchbrechen und doch unüberwindbar für böse Gedanken.
    Rosa schaute zum einsamen Berg, der plötzlich trist und grau aussah, bedrohlich über dem Finsterwald thronte und ein schreckliches Ungeheuer barg.
Warum nur habe ich einem Drachen in die Augen geschaut,
seufzte sie tief und selbst das war hier leicht. Die Bärenkinder sahen sie fragend an und Rosa spürte einen Stich durchs Herz. Nein, sie war froh, dass sie ihre Kinder hatte, sie waren besonders, jedes einzelne. Und was immer die Zukunft bringen würde, es würde ein Morgen geben.
    »Was ist das für ein Platz, Mama?«, fragte Bernhard. »Die Luft ist hier ganz anders und es kribbelt im Bauch.«
    »Ja Schatz, es ist schön hier, nicht wahr. Selbst der Finsterwald hat Plätze zum Ausruhen.«
    »Sind alle Wälder so dunkel?«
    Rosa schüttelte den Kopf. »Nein, ganz bestimmt nicht. Jeder Wald birgt einem Zauber in sich, der ihn am Leben hält und schützt.«
    »Und warum ist dann unser Wald so böse?«
    Rosa drehte sich schnell weg und nahm Bernhards Hand. »Kommt, wir müssen weiter, es ist bald geschafft.«
    Der Weg wurde breiter und nach einer weiteren Stunde versprach ein Lichtpunkt das Ende. Den Kindern taten gehörig die Füße weh.
    Rosa holte noch einmal Luft,

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