Drachentau
sie wie ein Huhn.« Jakob fuchtelte mit den Armen, als wäre er ein Huhn.
Rosa lachte laut. »Wenn sie so schrecklich ist, warum kaufen wir dann Eier bei ihr, obwohl du eigene Hühner hast?«
Plötzlich wurde Jakob ernst. »Du weißt, warum.«
»Ja, ich weiß es, Großvater. Sie tut dir leid, weil der Drache ihr alles genommen hat, was ihr lieb und teuer war. Mir geht es genauso. Es ist anstrengend, ihr zuzuhören, aber ich tue es trotzdem, denn irgendwie hab ich sie gern. Und das mag ich an dir, dass du ihre Eier kaufst, obwohl sie dich nervt. Du würdest nie freiwillig mit ihr reden, aber ihre Eier, die kaufst du.«
Jakob lächelte und beide schwiegen eine Weile.
»Gibt es was Neues im Dorf?«, fing er erneut ein Gespräch an.
»Sicher nichts, was dich interessiert. Ein neuer Zaun bei Edmund, der Mittelweg muss instand gesetzt werden und sie suchen wieder Bären, die die Schulkinder unterrichten.«
»Sonst nichts?«, fragte Jakob noch einmal.
Rosa blickte ihn an. »Nein sonst nichts. Meinst du was Bestimmtes?«
»Ist schon gut. Spielen wir heute Abend Schach?« Jakob konnte etwas Ablenkung gebrauchen, er würde sowieso die ganze Nacht grübeln.
»Heute Abend? Ach, es ist doch etwas. Bodo wollte vorbeikommen und mit dir sprechen.«
Sie konnten sich denken, was Bodo wollte. Seit Längerem hielt er um Rosas Hand an, aber Jakob hatte nicht zugestimmt, weil er Rosa noch zu jung fand. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren war sie beinahe im heiratsfähigen Alter. Aber wie Jakob fand, eben nur beinahe.
Er hatte heute keine Lust, mit Bodo zu reden, wenn er ihn auch sehr mochte und für einen tüchtigen Bären hielt. »Würdest du ihm sagen, dass es heute nicht passt? Mir ist nicht nach Besuch.«
»Dir ist so gut wie nie nach Besuch, aber ich mache es gern.« Rosa freute sich auf die Aussicht, ein wenig mit Bodo zu schwatzen. Und es tat gut, von einem so schönen Bärenmann gemocht zu werden. »Aber nur unter einer Bedingung. Die Küche räumst du heute auf.«
Jakob lachte. »Abgemacht!«, sagte er.
»Und danach spielen wir unsere Schachpartie.«
»Abgemacht!«
Tumaros
Nachtschwarz ragte der einsame Berg aus dem dunklen schweigenden Finsterwald heraus. Die Stille war so starr, man hätte sie wegtragen können. In der Nähe dieses Berges schien die Luft dicker zu sein und das Atmen fiel schwer. Nur die Waldfeen wagten sich an den Berg heran. Eschagunde war sogar schon drinnen gewesen und hatte den schlafenden Tumaros beobachtet.
Drachen haben feine Sinne, nichts entgeht ihnen. Nur in besonderen Nächten war es den Feen möglich, sich mit starkem Gegenzauber unbemerkt zu nähern. Aber es war riskant und band für mehrere Tage ihre Kräfte. Ja, Drachen waren stark und Tumaros vielleicht der stärkste.
Da lag er in seiner großen Drachenhöhle, dunkelgrün gepanzert, jede einzelne Schuppe mit einem Edelstein besetzt, umgeben vom funkelnden Schimmer seiner Zauberkräfte, eingerollt in einer behaglichen Haltung, seinen Kopf auf die riesige Schwanzspitze gebettet, inmitten von Goldmünzen, Silbergefäßen, Edelsteinen, Schwertern und Schilden, und schlief. Zufrieden schnaufte sein Atem mit einem wohligen, kehligen Geräusch.
Aber Drachen schlafen niemals ganz. Nur mit einer Hälfte sind sie tief im Land der Träume. Die andere Hälfte ist wach. Nichts entging ihm, was um ihn herum geschah, weder in der Nähe noch in der Ferne im Mühlendorf. Er genoss seine Macht und die Furcht, mit der die Bären an ihn dachten. Drachen sind böse, immer auf ihren eigenen Vorteil bedacht, durch und durch verschlagen. Sie tun niemals etwas in Eile, hecken in ihrer finsteren Höhle ihre Pläne aus und können Jahre, sogar Jahrhunderte warten, bis sie ihre Vorhaben ausführen, immer darauf aus, große Beute zu machen. Tumaros Schatz war für unsere Augen unermesslich, angesammelt in 500 Jahren Raubzug. Für Tumaros aber war er armselig. Er träumte davon, einen großen König in seinem Schloss zu überfallen oder einen Zwergenschatz zu finden, mit dessen Reichtum er die ganze Drachenhöhle füllen könnte. Etwas Besonderes sollte es sein, das ihm für immer den Respekt der anderen Drachen bringen würde. Er war es leid, armselige Bärendörfer zu überfallen, deren Ausbeute kaum den Aufwand lohnte. Es war lediglich ein Zeitvertreib.
In dieser schwarzen, windstillen Nacht, in der ein breites Wolkenband den Mond verdeckte und nicht mal ein blasser Lichtstrahl die Dunkelheit durchbrach, geschah das, was Eschagunde befürchtet hatte:
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