Drachentau
Kein Staubkörnchen lag dort. Auf der Fensterbank standen frische Blumen, genauso, wie sie es zu tun pflegte. Unter ihrer Bettdecke lag ihr Nachthemd. Rosa stach es ins Herz. Sie konnte spüren, wie Jakob täglich auf sie gewartet hatte, niemals die Hoffnung aufgebend, sie möge zurückkommen. Jetzt war sie zurück, ohne Hoffnung, dass er noch einmal käme.
Rosa ging zu ihrem Kleiderschrank und öffnete ihn. Ihre zahlreichen Schürzen, braune und schwarze, kunstvoll verzierte Ledergürtel, ihr warmer Wintermantel und einige Kleider für besondere Anlässe fanden sich darin. Ganz hinten hingen zwei Kleider ihrer Großmutter. Die hatte sie für sich aufgehoben, weil sie besonders schön waren. Doch sie zu tragen, hatte sie nicht gewagt, weil sie wusste, wie sehr Jakob um sie trauerte. Rosa nahm eines heraus und das erste Mal fiel ihr auf, dass es langärmlig war. Bären brauchten nicht viel Stoff um sich, höchstens im tiefsten Winter. Für sie war Kleidung Schmuck. Dieses Kleid war lila, elegant und schlicht. Walburga hatte es gut verstanden, ihre Schönheit mit ihren Kleidern zu unterstreichen.
Rosa ging zu ihrem Spiegel und hielt es sich vor, drehte sich ein wenig hin und her und betrachtete sich genau. Auch ihr würde es gut stehen, wenn sie auch alles andere als schön war. Ihr Körper war über und über mit Narben bedeckt. Das wenige Fell, das sie noch hatte, war stumpf und statt ihrer langen, schwarz glänzenden Haare hatte sie eine vernarbte Glatze. Nur ihre Augen schienen so schwarz wie eh und je.
Rosa kam eine Idee. Sie ging zu ihrer großen Kommode und zog die unterste Schublade auf. Verschiedene Stoffe, sorgfältig zusammengelegt, kamen zum Vorschein. Zielsicher griff sie einen dunkelroten heraus, öffnete die Schublade darüber und fand ihren Nähkasten. Sie zündete noch eine zweite Lampe an und begann, den Stoff ausbreitend, einzeichnend, zuschneidend, zusammennähend, wie in einem Rausch, ihn in ein wunderschönes Kleid zu verwandeln. Sie bemerkte nicht, wie längst die Sonne aufging, das Zimmer erhellte und Geräusche von der Küche herüberdrangen.
Zu dem Kleid nähte sie sich fingerlose Handschuhe aus weißer Spitze, mit einer kleinen Schlaufe am Ende, die sie über ihren Mittelfinger zog. Zum Schluss fertigte sie sich ein Kopftuch, das sie im Nacken mit einer großen Schleife zusammenband und ein Stirnband, perlenbesetzt, aus weißem Satin, das sie darüberzog.
Sie probierte das Kleid und betrachtete sich im Spiegel. Es war hochgeschlossen mit einem Spitzenbesatz am Hals. Der Schnitt war figurnah und betonte ihren anmutigen, grazilen Körperbau. Der Stoff war weich fließend und umspielte ihre Beine mit einem nach unten leicht ausgestellten Schnitt. Die Ärmel gingen bis zum Ellenbogen und wurden dort von den Handschuhen abgelöst. Das dunkelrote Kopftuch mit dem weißen Band ließ ihre Augen strahlen.
Rosa betrachtete sich zufrieden, und bemerkte nicht, dass Bodo in der Tür stand und sie bewundernd ansah.
Er räusperte sich. »Du bist schön, Rosa. Die schönste Bärin weit und breit und kein Drache der Welt konnte das ändern.«
Rosa lächelte Bodo an und da konnte er nicht mehr anders, ging zu ihr, zog sie in seine Arme und küsste sie, das erste Mal, lange und innig. Für beide war es ihr erster Kuss und sie waren erstaunt, wie gut er schmeckte. Rosa fühlte einen warmen Schauer in ihrem Körper. Es war nicht die gleiche, feurig lodernde Leidenschaft wie bei Tumaros. Mehr ein Glühen in ihrem Herzen, das eine wohlige Wärme in ihrem Körper verbreitete und versprach, für immer zu bleiben.
Als Bodo sie endlich loslassen konnte, sah er ihr fest in die Augen. »Ich habe lange warten müssen, um dir diese Frage zu stellen. Du bist das Wertvollste in meinem Leben. Nie habe ich aufgehört zu hoffen, dass du zurückkommst. Willst du meine Frau werden?«
»Ja, Bodo, das will ich. Ich will deine Frau werden.«
»Oh, Mama, du siehst wunderschön aus«, begrüßte Letizia sie, als die beiden die Küche betraten. »Wie hast du das gemacht?«
Ella stand auf und betrachtete Rosas Kleid, strich vorsichtig über den Stoff. »Nähst du mir auch so ein Kleid?«
Rosa berührte zärtlich eine lange Narbe an ihrem Arm. »Ja, mein Schatz, wir werden auch für dich ein Kleid nähen, du wirst sehen, dass du eine wunderschöne Bärin bist.«
»Und ich, Mama?«, fragte Letizia, deren Bärenfell zum Glück noch vollständig war.
»Ich denke, für dich reicht eine schöne Schürze. Ich werde es dir
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