Drachentau
als er den festlich geschmückten Raum sah.
»Man merkt, dass du wieder zu Hause bist«, sagte Mischa. »Dann lasst uns beginnen.«
Nach Bärenart stellten Rosa und Bodo sich auf und fassten sich über Kreuz an den Händen. Mischa legte seine Hand über ihre.
»Willst du, Bodo, Rosa zur Frau nehmen?«, fragte er mit feierlichem Ton.
»Ja, das will ich«, antwortete Bodo und sah Rosa fest in die Augen.
»Willst du, Rosa, Bodo zum Mann nehmen?«, fuhr Mischa fort.
»Ja, jetzt und für immer«, sagte Rosa und erwiderte Bodos Blick. Mischa löste seine Hand, nahm ein weißes Satinband und band es mehrmals um Bodos und Rosas Hände. Zum Schluss fasste er mit beiden Händen darüber und sagte: »Dann seid ihr jetzt, nach dem Gesetz der Bären und des Dorfes Mühlenau Mann und Frau. Das weiße Band soll als Zeichen eurer Verbundenheit für immer in eurer Hütte bleiben.«
Bodo und Rosa lösten das Band, umarmten sich fest und küssten sich lange.
Am Abend verließen sie Jakobs Hütte. Ihr Hab und Gut auf einem Handkarren verstaut, verschloss Rosa die Tür und sie gingen, den Sonnenuntergang im Rücken spürend, in das Dorf zu ihrem neuen Zuhause.
Neue Heimat
Es hatte den ganzen Tag geregnet. Der Himmel versank wolkenbehangen in ein deprimierendes Grau. Die Sonne, deren Existenz sich nur ahnen ließ, verschwand langsam, aber stetig hinter dem Horizont. Bernhard schritt, bis auf die Haut durchnässt, über den morastigen, aufgeweichten Weg, alle Hoffnung aufgebend, sein Ziel heute noch zu erreichen. Unter einem Baum machte er Halt. Außer Atem überlegte er, ob sich dieser Platz für eine kurze Pause eignete, verwarf aber den Plan, als er sah, dass weder das Blätterdach den Regen abhielt, noch sich ein trockenes Plätzchen am Baumstamm befand. Er biss die Zähne zusammen und ging weiter. Irgendeinen Unterschlupf würde er in Kürze brauchen, denn die Nacht sog das letzte Tageslicht ab und die Dunkelheit machte ein Weiterkommen unmöglich. Bernhard seufzte tief und versuchte seinen Schritt zu beschleunigen.
Seit sechs Tagen war er unterwegs. Seine Vorräte waren seit dem frühen Morgen verbraucht und der Hunger biss ihn in den Magen. Am Anfang war ihm das Wetter noch freundlich gesonnen und die neu gewonnene Freiheit beflügelte seinen Gang. Nach einem Tag war der Drachenberg nicht mehr zu sehen und mit seinem Anblick wich auch die Bedrohung. Ich habe es geschafft, sagte sich Bernhard mit jedem Schritt und fühlte, wie sich die frische, kühle Luft in seinem Körper ausbreitete.
Aber seit gestern regnete es unaufhörlich. Mit dem ersten Tropfen noch sein Abenteuer bereichernd, schlug es nun auf sein Gemüt. Der Gedanke, dass seine Flucht doch ein Fehler war, schlich sich ein. Er begann, seine Mutter und seine Geschwister zu vermissen. Ob sie es auch geschafft hatten zu entkommen, fragte er sich immer wieder und wenn nicht, ob er dann schuld sei an ihrem Tod?
Bernhard hielt inne. Der Weg war kaum noch zu sehen. Wohl oder übel musste er die Nacht hier verbringen, es sei denn, der Himmel hätte doch noch ein Einsehen und die Wolken würden den Mond freigeben. Doch darauf zu hoffen, war Irrsinn. Solange er wenigstens noch die Hand vor Augen sehen konnte, schaute Bernhard sich nach einem Plätzchen um, als sein Blick an einem Lichtpunkt in der Ferne hängen blieb. Er versuchte auszumachen, was das sein könnte, als noch mehr Lichtpunkte mit einigem Abstand auftauchten.
Entschlossen setzte Bernhard seinen Marsch fort und hielt darauf zu. Bald tappte er durch völlige Dunkelheit, aber zu seiner Freude wurde der Lichtpunkt, obwohl zunächst weiter entfernt als gedacht, immer größer. Nach einer weiteren Stunde Fußmarsch, über unzählige Wurzeln stolpernd, erkannte Bernhard das Licht. Erst traute er seinen Augen nicht, dann wurde es immer deutlicher. Es war eine Lampe, die in ein Fenster gestellt war. Die anderen Lichter waren ebenfalls Lampen in weiter entfernten Hütten. Das musste es sein, das Kupferdorf, in dem seine Großeltern lebten.
Bernhards Herz schlug ihm bis zum Hals, als er die erste Hütte erreichte. Er holte noch einmal tief Luft, schüttelte sich den Regen vom Pelz und klopfte mit kalten Händen beherzt an die Tür. Nichts regte sich. Wahrscheinlich schliefen die Bewohner schon. Bernhard klopfte noch einmal. Er horchte. Stille. Dann hörte er leise Schritte, die über den Boden schlurften und schließlich hinter der Tür stehen blieben. Der Schlüssel in der Tür drehte sich. Quietschend wurde sie
Weitere Kostenlose Bücher