Drachentempel 01 - Sternenträume
Familie ihn aus dem Polizeigewahrsam befreit hatten.
Das turbulente Klima Amethis änderte sich erneut. Die Phase des unablässigen Schneefalls ging zu Ende. Im Verlauf der letzten paar Jahre hatte der Barclay Gletscher Millionen Tonnen Wasser freigesetzt. Die Schmelze war immer schneller vorangeschritten. Die Änderungen des atmosphärischen Drucks waren marginal, doch effektiv. Die Atmosphäre war schwerer geworden, und die Gashülle des Planeten konnten nun mehr Wärme speichern als zuvor. Die Durchschnittstemperatur stieg um ein paar Grad. Auf der dem Gletscher abgewandten Seite des Planeten wich der ewige Schnee langem Dauerregen. Wenn der Wind auffrischte, kam es zwischenzeitlich über Templeton zu einer aufgerissenen Wolkendecke.
Viele Leute sahen dies als schlechtes Omen. Für sie bedeutete es, dass das Erwachen zu Hurrikans führte, die ihre Kuppeln zerfetzten. Die offizielle Meinung lautete, dass die Zunahme der Windgeschwindigkeiten normal war und ein unausweichlicher Prozess auf dem Weg zu einem normalen Jahreszeitenzyklus. Es mochte vielleicht den einen oder anderen Ausschlag geben, doch am Ende würde sich alles normalisieren.
Ob man es glaubte oder nicht, der klarere Himmel bedeutete, dass die Passagierflugzeuge ihren Liniendienst wieder aufnehmen konnten, nachdem der Flugverkehr in den vorangegangenen Jahren fast völlig zum Erliegen gekommen war. Lawrence und Roselyn nahmen den Morgenflug von Templeton. Der Flug nach Oxendale würde fünfzehn Stunden dauern. Eines Tages würde Oxendale die größte Stadt auf einer langen Inselkette inmitten eines Ozeans sein. Für den Augenblick befand sie sich auf einem flachen Hochplateau, dem Gipfel eines massiven Berges und dem größten in einem Rücken ähnlicher Berge, die sich aus dem dicken Salzwassermorast am Meeresgrund erhoben.
Auf dieser Seite der Welt, der Nizana zugewandten, beherrschte der Gletscher noch immer das Klima. Die Luft war sehr viel kälter, aus den Wolken fiel immer noch Schnee, während sie zur wärmeren Seite trieben. Der Jet setzte auf einer Landebahn auf, die von dichtem Pulverschnee bedeckt war. Sie sahen nur einen winzigen Abschnitt, bevor die Räder den Boden berührten. Die gesamte letzte Stunde waren sie blind durch dichten Nebel geflogen. Oxendale lag einen Kilometer über dem zukünftigen Meeresboden, und das bedeutete, dass es nahezu ständig in den Wolken lag.
Sie mussten eine halbe Stunde in der Empfangshalle des Flughafens warten, während ihr Gepäck transferiert wurde, dann wechselten sie in ein dreißigsitziges STL-Flugzeug, das speziell für arktische Bedingungen gebaut war. Orchy lag weitere zwei Flugstunden entfernt. Vierzig Minuten nach dem Start zog sich die Wolkendecke in größere Höhen zurück, und vor sich sahen sie in der Ferne den Barclay-Gletscher.
Da Amethi fast ein Viertel des Weges entlang seines Orbits von der Hauptkonjunktion entfernt war, schien die Sonne fast senkrecht auf den vertikalen Rand des Riesengletschers. Sie trennte Land und Himmel mit ihrem silbrig-weißen Licht, das sich von Nord nach Süd erstreckte, als wäre in der Landschaft ein Riss entstanden und gestattete einer anderen, näher liegenden Sonne von hinter dem Planeten hindurch zu scheinen. Lawrence musste seine Sonnenbrille anziehen, um direkt auf den Gletscher zu sehen. Die Farben waren monoton. Die Oberfläche des Gletschers schimmerte in reinem Weiß, und selbst die Wolken schienen keinen Schatten zu werfen. Konturen waren, zumindest aus dieser Entfernung, nicht zu erkennen. Das Einzige, was sich sagen ließ, war, dass das Eis brüchig war, mit langen, geschwungenen Kurven, die sich auf dem Weg zum Rand hin überlappten. Oben leuchtete der Himmel in einem erstaunlichen, metallischen Blau. Die dominante ockerfarbene Sichel Nizanas leuchtete aufdringlich fremdartig, und ihre Dunkelheit schien nichts Gutes zu verheißen. Wolkenschleier wirbelten umher. Sie waren fast so hell wie der Gletscher selbst. Alles bewegte sich in die gleiche Richtung, weg vom Eis des Gletschers und über den Meeresboden hinaus nach draußen.
Als Lawrence direkt nach unten blickte, sah er nichts außer braunen Schlammdünen mit weißen Kämmen. Die Zwischenräume wurden von brackigem Wasser ausgefüllt und bildeten einen unendlichen Plexus aus miteinander verbundenen Rillen. Alle paar Kilometer verlief ein tiefer Fluss, der sich seinen Weg durch den Schlamm schnitt. Hier floss das Wasser schnell und dreckig, und es fraß an den Seiten seines
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