Drachentempel 02 - Drachenfeuer
ihrer bäurischen Erziehung hatte keine Vorstellung von den Kompromissen, die eingegangen werden mussten. Also ließ er sie die Hälfte der Stücke aussuchen und verzichtete auf Bemerkungen über ihren Geschmack.
Selbst mit drei Stunden täglich im Gymnastikraum blieb noch eine Menge Zeit totzuschlagen. Er kehrte in die Bibliothek zurück und begann, I-Medien abzuspielen. Das war etwas, das er seit Amethi nicht mehr getan hatte. Zuerst stürzte er sich auf Komödien, neue und Klassiker, doch man kann nicht unbegrenzt über Situationen lachen, die keinerlei Bedeutung für das eigene Leben haben. Anschließend versenkte er sich in Action-Adventures, um ebenfalls aufzugeben, sobald sie idiotisch wurden und sich alles zu wiederholen begann. Dramen waren ganz allgemein zu quälend. Er schätzte, dass seine persönlichen Umstände seine emotionale Empfänglichkeit erhöht hatten und er zu sehr von den melodramatischen Traumen mitgenommen wurde, welche die Charaktere mit sich herumtrugen. Science Fiction lehnte er rundweg ab. Trotz der wirklich großen Versuchung wäre es zu voreilig gewesen. Er würde Flight: Horizon wieder sehen, aber nicht hier – und nicht allein. Also wechselte er zwischen klassischen Stücken und Reiseberichten und historischen Filmen. Und immer häufiger tauchte er ein in die Erinnerungen des Drachen über das Ring-Imperium und andere Episoden der galaktischen Geschichte, die bereits alt gewesen waren, als noch Dinosaurier die Erde bevölkert hatten.
Auch wenn sie tagsüber jeder für sich allein blieben, machten sie eine Gewohnheit daraus, gemeinsam zu essen. Sie variierten die Nahrung, so gut es ging, obwohl Denise nicht aufhörte, über den Mangel an Geschmack zu lästern.
»Du liebst sie wirklich, nicht wahr?«, fragte sie einmal während des Abendessen, nachdem sie bereits fünf Wochen unterwegs waren.
Lawrence sah sie schuldbewusst an. Wie immer hatte er ihrem Gejammer über den Geschmack einer Ente à l’Orange gar nicht zugehört. Als er ihrem Blick folgte, bemerkte er, dass er den Anhänger zwischen Daumen und Zeigefinger rieb. Das kleine Hologramm lächelte ihn unter einer vom Alter trüben, stumpf gewordenen Oberfläche an.
»Ja«, sagte er. Es tat nicht mehr weh, es jetzt einzugestehen. Nicht jetzt, nachdem es kein Zurück mehr gab. »Das tue ich.«
»Die Glückliche. Wie lange ist es her? Zwanzig Jahre?«
»Ungefähr, ja.« Er warf einen letzten Blick auf den Anhänger, dann steckte er ihn unter das T-Shirt zurück. »Weißt du, zuerst habe ich ihn behalten als Erinnerung daran, warum ich mein Zuhause verlassen habe, damit meine Wut nicht vergeht. Das hat sich mit den Jahren geändert. Heute trage ich ihn wegen dem, was sie mir bedeutet hat. Die glücklichsten Tage meines Lebens. Ich habe lange gebraucht, bis ich erkannt habe, dass niemand solch einen Eindruck in deinem Leben hinterlassen kann, ohne dass er dir etwas bedeutet hätte. Und niemand hat mir je so viel bedeutet wie sie, nicht einmal annähernd.«
Denise lächelte ihn freundlich an; sie war überrascht von seinem Eingeständnis. »Ich hoffe für dich, dass es dir gelingt, alles in Ordnung zu bringen.«
»Ich war so wütend, als ich es herausfand. Wütend auf alle und jeden, weil sie Teil eines Universums waren, in dem solche Dinge passieren. Es war die einzige Art und Weise, wie ich mich ausdrücken konnte. Es war ein unglaublicher Schock für mich, herauszufinden, dass jemand, den man liebt, auf diese Weise benutzt worden war. Andererseits waren wir beide jung und dumm, sie und ich. Sie wollte so verzweifelt weg von der Erde, und es war die einzige Möglichkeit, wie sie es erreichen konnte. Und weißt du was? Es ist kein Unterschied zwischen dem, was sie getan hat, und dem, was ich gemacht habe. Zantiu-Braun hat mich für zwanzig Jahre benutzt, weil das die einzige Möglichkeit war, wie ich meinen Traum jemals verwirklichen konnte.«
»Du bist wirklich auf Raumfahrt fixiert, wie?«
»Absolut. Ich bin auf einer Kolonie geboren. Ich verdanke der Wanderlust mein Leben.«
»Das ist so altmodisch-menschlich. Einfach immer nur weiterziehen, nur aus Selbstsucht, und zum Teufel mit den Konsequenzen. Ich glaube, Simon Roderick hat vielleicht gar nicht so unrecht.«
»Du machst wohl Witze!« Jacintha hatte ihre gesamte Unterhaltung mit Simon Roderick zur Koribu übertragen, bevor das Schiff in die Kompression gegangen war. Zantiu-Brauns wirkliche Politik zu hören hatte ihn längst nicht so schockiert, wie es das
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