Drachentochter
einzigen überlieferten Aufzeichnungen über das Tier. Er hat es aus dem Schatz des Drachen gestohlen, ehe er an mich zurückgegeben wurde.«
»Also hat Prahn sich nicht geirrt.« Mit zitternder Hand goss er Wein in eine andere Schale. »Wenn Ido das Buch besitzt, muss er dessen Geheimnisse doch längst kennen.«
»Das glaube ich nicht.« Zögernd kam ich auf ihn zu, doch er wies mich nicht ab. »Es ist in Frauenschrift abgefasst.«
Er ächzte. »Das überrascht mich nicht.« Er hob die Schale, führte sie aber nicht zum Mund, als er mein Erstaunen sah. »Meine leibliche Mutter hat mir einige dieser Schriftzeichen gezeigt.« Er nahm einen tiefen Zug und verzog das Gesicht, offensichtlich weil der Wein ihm immer noch in der Kehle brannte. »Ich habe mich immer gefragt, warum der Spiegeldrache den Kreis verlassen hat. Warum sie …«, er nickte mir kurz zu, »… in der Überlieferung nirgendwo auftaucht. Vielleicht wird Euer Buch es uns verraten.«
»Majestät, ich weiß nicht, warum sie uns verlassen hat. Doch ich weiß, dass Euer Onkel und Ido Euch den Thron streitig machen wollen. Wir müssen das Buch rasch zurückgewinnen.« Der Pavillon hatte keine Fenster, und so konnte ich nicht sagen, ob es Tag oder Nacht war. Ich überschlug rasch, wie viel Zeit verstrichen sein mochte. »Die Drachenaugen müssten inzwischen aus Daikiko zurück sein. Ido dürfte sich in seiner Halle aufhalten.«
»Wir sollen die Geisterwache verlassen?« Er sah zur Bah re. »Ja, Ihr habt recht. Mein Vater hätte Verständnis für die Eile gehabt. Wir müssen sofort zu Idos Halle reiten und das Buch verlangen. Er wird seinem Kaiser gehorchen.«
Dessen war ich mir nicht so sicher. Und ich wollte Ido auch nicht erneut gegenübertreten.
»Nein, Majestät. Ihr müsst in Sicherheit bleiben. Ich werde mich mit Ryko aufmachen.« Ich hielt inne, denn mir fiel ein, dass ich nicht wusste, ob er schon zurückgekommen war und ob er überhaupt bereit wäre, mich zu begleiten. »Wir wissen, wo er es verwahrt hat.«
»Ihr werdet Eurem Kaiser gehorchen, Lord Eon«, sagte er kalt. »Ich reite zur Rattendrachenhalle und wir bringen diese Sache gemeinsam hinter uns.« Er machte sich auf den Weg zur Flügeltür. »Kommt!«
Wenigstens waren wir unterwegs. Aber wohin?
20
Ich trat einen Schritt zurück, als der Soldat der Palastwache das Pferd zu mir führte. Die schweren Flanken des Fuchses waren auf gleicher Höhe wie mein Hals, und die Wildheit, mit der das Tier den Kopf herumwarf, ließ darauf schließen, dass es ziemlich unberechenbar war. Ein zweiter Gardist kniete sich neben das Tier und kümmerte sich nicht weiter um die unruhig tänzelnden Hufe, sondern wartete darauf, mich in den Sattel zu heben. Der Kaiser wendete sein Pferd und sah im Fackellicht zu mir herunter.
»Worauf wartet Ihr, Lord Eon?«
»Majestät, ich weiß nicht, wie –« Ich sprang zurück, als das Pferd ungeduldig schnaubte.
»Verstehe. Das hättet Ihr mir früher sagen können.« Von seinem erhöhten Sitz aus musterte der Kaiser die versammelten Palastwächter. »Ich nehme an, Euer Mann kann reiten?«
»Das kann er.«
Er winkte Ryko heran. »Lass deinen Meister hinter dir aufsitzen.«
Ryko sah mir kurz in die Augen, während er sich dem Pferd näherte. Als der Kaiser und ich vorzeitig aus dem Pavillon der Fünf Geister gekommen waren, hatte ich ihn auf dem Platz warten sehen. Er hatte Wort gehalten und war zurückgekehrt, um auf mich aufzupassen, doch ich hatte bisher nicht mit ihm gesprochen, sondern ihm lediglich einige Befehle gegeben, und er verhielt sich mir gegenüber weiterhin kühl. Geschickt öffnete er die Schnalle des reich verzierten Sattels, nahm ihn vom Pferd und nickte dem Gardisten zu, der darauf wartete, ihm hinaufzuhelfen. Im nächsten Moment war er schon aufgesessen.
Der Palastwächter wartete, um auch mir aufs Pferd zu helfen. Vorsichtig setzte ich den Fuß auf sein Knie, das er mir als Tritt anbot. Während ich mich noch mühsam im Gleichgewicht hielt und nicht recht wusste, was als Nächstes zu tun war, griff Ryko mich am Arm, zog mich zu sich hinauf und setzte mich hinter sich aufs Pferd. Ich sah ein paar Zahnreihen blitzen, da es nicht allen Fußgardisten gelungen war, ihr Grinsen zu verbergen.
»Legt die Arme um meine Taille«, sagte Ryko knapp. »Und drückt die Knie nicht zu fest an das Tier.«
Ich hielt mich mit der einen Hand an seiner Schulter fest und rückte die schwere Seide meines Gewands mit der anderen so zurecht, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher