Drachentochter
massive Mitteltor also, das dem Kaiser vorbehalten war – wurde bereits geöffnet. Die Wächter des Gerichtstors sputeten sich, die reich vergoldeten Gitter aufzusperren, während die Hüter der beiden kleineren Tore der Demut durch die Rufe der Fußsoldaten zur Eile gedrängt wurden. Während der Kaiser und seine Gar de durch die mittlere Torwölbung ritten, lenkte Ryko unser Pferd mit Rücksicht auf meinen hohen Rang als Drachenauge durchs Gerichtstor. Die Hufe trappelten auf dem Pflaster und für einen Augenblick sah ich die Herrlichkeit der gemalten Drachen an den mit vergoldetem Stuck geschmückten Wänden und die rot lackierte Decke. Dann waren wir wieder unter freiem Himmel und nahmen erneut unseren Platz in der langen Reihe der Reiter und Fußsoldaten ein, die dem Kaiser und seiner Garde folgten.
Wir machten keinen Halt. Als die letzten Männer durch die Tore der Demut marschierten, ritten wir schon über die Allee, die die Gärten des Smaragdgrünen Rings durchschnitt und zum Drachenring und den zwölf Drachenhallen führte. Ich klammerte mich an Ryko, als das Pferd zu traben begann, doch da ich mich nicht im Takt des Tiers bewegte, stieß ich mit dem Hintern unsanft gegen seine Kruppe. In der kurzen Zeit, in der ich ganz damit beschäftigt war, meine Bewegungen an die Schritte des Pferdes anzupassen, verpasste ich das Ereignis, das den gesamten Zug aufschrecken ließ. Ich bekam nur mit, dass Ryko plötzlich den Oberkörper anspannte und der Hauptmann der Palastwache, der weiter vorn ritt, das Zeichen zum Anhalten gab. Die Männer ringsum blieben stehen, griffen sofort nach ihren Bögen und musterten jeden Schatten in den üppigen Gärten rechts und links der Allee.
»Was ist los?«, flüsterte ich, als Ryko sein Pferd zügelte.
Er wies mit dem Kopf nach vorn. Ein schwaches Glühen erhellte den Nachthimmel. »Feuer.«
Es war so nah, dass es im Bereich des Drachenrings ausgebrochen sein musste. Die nächstgelegene Halle war die des Büffeldrachen. Waren Lord Tyron und Hollin wohlauf?
Der Hauptmann hatte bereits sein Pferd gewendet und war zum Kaiser geritten. Die beiden unterhielten sich so leise, dass ich nur Zischlaute hörte. Dann nickte der Hauptmann und gab das Kommando, uns wieder in Bewegung zu setzen. Ryko trieb unser Pferd an der Palastgarde vorbei, die den Kaiser bereits wie ein Schutzschild umgab.
»Lord Eon«, sagte der Hauptmann und neigte kurz den Kopf. Für einen Schattenmann war er sehr mager. Befehlsgewalt und Erfahrung waren ihm tief in die Falten um Augen und Mund gegraben. Er wandte sich an Ryko. »Hast du das gesehen?«
Ryko ächzte.
»Es brennt in dem Gebäude, das der Halle des Rattendrachen gegenüberliegt«, sagte der Hauptmann. »Seine Majestät hat uns befohlen weiterzureiten.«
Ryko sah erneut auf das seltsame Flackern. »Das gefällt mir nicht. Es erinnert mich an den Bano-Pass.«
Der Hauptmann nickte und rieb sich das Kinn. Sie hatten offenbar eine gemeinsame Geschichte. »Das denke ich auch. Aber wir können dem Kaiser nicht wegen eines Phantoms aus der Vergangenheit widersprechen. Ich schicke Späher aus und wir reiten weiter – doch beim ersten Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt, bringen wir den Kaiser in Sicherheit.«
»Verstanden«, sagte Ryko. »Aber egal, worum es sich handelt – Lord Eon und ich werden zur Rattendrachenhalle reiten.«
Der Hauptmann nickte und trieb sein Pferd an den schweigenden Männern entlang. Auf sein Zeichen hin lösten sich vier Fußsoldaten aus dem Verband und verschwanden in den Gärten. Dabei wichen sie einem geschwungenen Fußweg aus, der von weißen Trauerlaternen beleuchtet war.
»Was meinst du, worum es sich handelt?«, fragte ich Ryko, als wir weiterritten.
»Ruhe«, befahl er und hielt den Kopf lauschend zur Seite. Wir trabten weiter und unser Unbehagen wuchs mit jedem Schritt. Schließlich tauchte nach einer leichten Steigung die Kreuzung auf, an der es zum Drachenring abging.
Ryko richtete sich auf. »Hört Ihr das?«
Ich hatte Mühe, durch das Getrappel der Pferde, die Schrit te der Soldaten und das gedämpfte Klimpern unserer Schar hindurch etwas auszumachen. Schließlich erahnte ich trotz des Lärms ein leises Geräusch, kaum mehr als das Rauschen des Windes.
»Was ist das?«, flüsterte ich.
Ich merkte, dass Ryko immer angespannter wurde. Er nahm die Zügel in die eine Hand und legte die andere auf sein Schwert. Wir hatten die Kreuzung erreicht und der breite, gepflasterte Drachenring bog links und rechts von
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