Drachentochter
meine Rippen traf, drückte seine Arme fester nach unten und untersuchte die Wunde. Um die Kaiserliche Perle herum war frisches Blut zu sehen, doch es war nur unterhalb der Perle und an den Nähten ausgetreten. Hätte ich genauer gezielt und mein Verband den Schlag nicht abgefedert, dann hätte ich ihn getötet. Offenbar hatte ich die Perle so getroffen, dass sie gegen die Schlüsselbeinknochen und nicht gegen die Luftröhre gestoßen war. Die Götter waren gnädig gewesen. Ihm wie mir gegenüber.
»Ihr dürft mich nicht umbringen«, sagte ich. »Ihr braucht mich.«
Er versuchte erneut, sich aufzurichten, und sein blasses Gesicht wurde zornrot. Er gewann seine Kraft bereits zurück. Ich hatte nicht mehr viel Zeit, um ihm begreiflich zu machen, warum wir zusammenarbeiten mussten.
»Hört mir zu. Der Spiegeldrache ist die Drachenkönigin«, sagte ich verzweifelt. »Sie hat mich erwählt, und sie hat sich dieses Jahr in der Arena gezeigt. Damit hat sie mindestens doppelt so viel Macht wie die anderen Drachen.« Seine Augen flackerten angesichts der Wahrheit dieser Worte. »Aber ich habe mich nicht richtig mit ihr vereinigt. Noch nicht. Ich habe keine Möglichkeit, mich ihrer Macht zu bedienen, doch Ido hat ein Buch mit ihrem Namen. Wenn ich es mir verschaffen kann, werde ich ihre ganze Macht besitzen – und Euch zur Verfügung stellen.«
»Warum … seid Ihr so sicher, dass Ihr ihre Macht beschwören könnt?«
»Weil ich Idos Drachen beschwören kann.«
Er bekam große Augen. »Ihr habt auch … Idos Macht?« Er räusperte sich. Seine Stimme klang inzwischen fester.
Ich nickte, ohne seinem Blick auszuweichen. Was ich gesagt hatte, war nur zur Hälfte wahr. Ich hatte den Blauen Drachen vor Idos Bibliothek gerufen. Aber ich durfte den Kaiser nicht die andere Hälfte der Wahrheit wissen lassen: dass Ido über diese Verbindung meinen Körper und Willen zu seinem Werkzeug machen konnte.
Er entwand sich meinen Händen. »Lasst mich los.«
Ich bewegte mich aus seiner Reichweite, während er sich langsam aufrichtete. Mit der Hand an der Kehle sah er zu mir herüber.
»Das war unter der Gürtellinie.« Er kam schwankend auf die Beine. »Ihr habt das Ehrgefühl einer Frau.«
Dieser Stich traf mich tief. »Ich versuche, unseren Pakt einzuhalten. Ist das etwa nicht ehrenvoll?«
Er schnaubte verächtlich. »Unseren Pakt auf gegenseitige Überlebenshilfe? Ihr hättet mich beinahe umgebracht.«
»Und Ihr mich auch.«
»Da habt Ihr recht.« Er lachte, doch rasch wurde ein Husten daraus. »Aber schließlich bin ich Euer Kaiser.«
»Und ich bin Eure einzige Hoffnung, den Thron zu behalten.«
Sein Lächeln wich einer strengeren Miene. »Ein weibliches Drachenauge.« Seine Augen wanderten über meinen Körper, und ich spürte, wie ich errötete. »Mein Vater hat mich stets dazu angehalten, nach der verborgenen Natur meiner Mitmenschen Ausschau zu halten«, sagte er, »doch ich bin sicher, nicht einmal er hätte mit einer wie Euch gerechnet. Warum soll ich Euch glauben, dass Ihr in meinem Sinne handelt? Ihr seid offenkundig eine talentierte Lügnerin.«
Ich biss mir auf die Lippe. »Ich stehe hier vor Euch. Ich könnte schon auf halbem Weg zu den Inseln sein.«
Er neigte den Kopf zur Seite. »Das stimmt. Aber ich denke, Eure Anwesenheit hier liegt in Eurem wie in meinem Interes se. Ich bin überzeugt, dass Lord Ido auf eine Frau, die sich seiner Macht zu bedienen weiß, unerbittlich Jagd machen wird.« Er hielt inne. »Wie habt Ihr den Königsmonsun gebändigt? Habt Ihr seine Macht dazu benutzt?«
Ich umklammerte die Seide meiner Geschichtenrobe. Eine talentierte Lügnerin. »Ja.«
»Dann habt Ihr Euch einen sehr gefährlichen Feind gemacht.« Er hieß mich mit einer Geste aufzustehen. »Umso besser für mich. Ich traue Eurer Angst und Eurem Selbsterhaltungstrieb mehr als Eurem Ehrgefühl, Lord Eon.« Er stockte. »Aber natürlich seid Ihr nicht Lord Eon. Wie lautet Euer wirklicher Name?«
Wieder stieg mir das Blut in die Wangen. Ich wollte vor ihm nicht als Mädchen dastehen, wollte nicht an Bedeutung verlieren. »Es wäre einfacher, wenn ich Lord Eon bliebe, Ma jestät. Ich brauche die Autorität dieses Titels, bis –«
»Bis Ihr Eure Macht habt oder tot seid«, unterbrach er mich. »Nur diese Möglichkeiten gewähre ich Euch, Lord Eon .«
Ich nickte. »Ich hatte immer nur diese beiden Möglichkeiten, Majestät.«
Er trat an den Tisch. »Ihr sagt, Ido hat ein Buch?«
»Das Spiegeldrachenbuch enthält die
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