Drachentochter
hielten.
Es würde noch mindestens eine halbe Glocke dauern, ehe der Kaiser in die Arena einzog und den Thron bestieg, der über dem verfinsterten Spiegel des Verlorenen Drachen errichtet war. Dann würde eine weitere halbe Glocke vergehen, bevor die Zeremonie begann. Eine Stunde noch, dann würde ich mich vor dem Himmlischen Meister verbeugen. Und Rannes Schwertern entgegentreten.
Die Dritte Spiegeldrachensequenz! Wusste Ranne, dass ich sie durch den Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen ersetzen durfte?
Ein Beamter in rubinfarbenem Gewand eilte zu Lord Ido, sank aufs Knie und übergab ihm eine Nachricht.
Ich musste zu Ranne, um ihm begreiflich zu machen, dass ich den Dritten Spiegeldrachen nicht zu fechten brauchte.
Lord Ido nickte dem Beamten zu, und sein Raubtiergesicht nahm einen angespannten Ausdruck an. »Anwärter, begleitet nun die für euch zuständigen Beamten und hört ihren Anweisungen genau zu«, sagte er. »Ihr könnt euch kurz vorbereiten, ehe die Schwertmeister Ranne und Jin-pa euch zum Kampf rufen. Ich wünsche euch allen Glück.«
Er musterte ein letztes Mal die Reihe und schritt dann zur Rampe zurück.
Wie auf ein Signal hin eilten die zwölf Beamten in wohlgeordneter Linie zu uns, und als sie am Drachenauge vorbeikamen, neigten sie sich so tief wie Weizen im Wind. Van blieb vor mir stehen, hockte sich nieder und senkte den Kopf zu einer raschen Höflichkeitsbezeugung.
»Anwärter Eon, kommt bitte mit mir mit«, sagte er. »Möchtet Ihr jetzt oder später Wasser trinken?«
Ich rappelte mich auf, obwohl sich alle Muskeln zu widersetzen schienen. »Ich muss mit Schwertmeister Ranne sprechen«, sagte ich.
Van erhob sich anmutig und strich sein langes graues Gewand glatt. »Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass Ihr das kaiserliche Protokoll kennt«, erwiderte er. »Danach habt Ihr Zeit, Euch auf die Zeremonie vorzubereiten. Möchtet Ihr jetzt oder später Wasser trinken?«
»Bitte, ich muss mit ihm sprechen«, entgegnete ich und ließ meinen Blick durch den Saal schweifen. Dillon, Quon und Baret standen an einem großen Wasserfass an, während die übrigen Anwärter den ihnen zugeteilten Beamten zu den Übungsflächen folgten. Jin-pa redete auf den rubinfarben gekleideten Beamten ein. Ranne war nirgendwo zu sehen. »Ich muss mit ihm sprechen, und zwar jetzt«, wiederholte ich. »Es betrifft die Zeremonie.«
»Der Schwertmeister hat Lord Ido in die Arena begleitet«, erwiderte Van und zuckte hilflos die Achseln. »Ich glaube nicht, dass es eine Möglichkeit gibt, vor der Zeremonie mit ihm zu sprechen.«
Die Anstrengungen der letzten Tage ließen mich schwanken. Ich drückte mir die Handballen gegen die Augen. Ranne hatte doch sicher erfahren, dass ich die Sequenz abgewandelt hatte.
»Mein Meister? Kann ich mit meinem Meister sprechen?«
»Er darf nicht zurückkehren«, sagte Van.
Ich stöhnte.
Er berührte mich sanft am Arm. »Vielleicht kann Schwertmeister Jin-pa Euch helfen?«
Sein höfliches Mitgefühl ließ mich aufblicken. »Ja. Ja, ich könnte mit ihm sprechen.«
»Wartet hier.«
Van ging zu Jin-pa und wartete, bis der Schwertmeister seine Unterhaltung mit dem hohen Beamten beendet hatte. Ich hob rasch meine Schwerter auf und klemmte sie mir mit der stumpfen Seite nach oben unter die Arme. Jin-pa sollte nicht denken, ich würde meine Waffen nicht sorgsam behandeln. Van verbeugte sich und übermittelte ihm meine Bitte, wobei er die schmalen Schultern anmutig hob, um seine Verwunderung zum Ausdruck zu bringen. Jin-pa winkte mich heran.
Ich eilte mit unbeholfenen, steifen Schritten zu ihm.
»Was gibt’s, Junge?«, fragte Jin-pa, als ich mich vor ihm verneigte.
»Schwertmeister, ich habe die Erlaubnis des Rats, die Drit te Spiegeldrachensequenz durch den Umgekehrten Zweiten Pferdedrachen zu ersetzen«, sagte ich atemlos. »Wegen meines Beins. Ich werde gegen Schwertmeister Ranne kämpfen. Weiß er davon, Sir?«
Jin-pa nickte. »Keine Sorge, Eon. Ranne und ich wissen, dass du vom Spiegeldrachen befreit bist.«
Ich spürte, wie sich ein Teil meiner Anspannung löste.
»Lord Ido hat es uns heute Morgen mitgeteilt«, fuhr Jin-pa fort, und das zog den Knoten der Angst in mir wieder fester. »Geh jetzt und hol dir Wasser. In der Arena ist es heiß.«
Er entließ mich mit einem Nicken. Ich folgte Van zum Wasserfass und mein Unbehagen wuchs mit jedem Schritt. Ranne mochte von der Absprache wissen, aber würde er sich auch daran halten?
Die nächste Stunde über trank ich
Weitere Kostenlose Bücher