Drachentochter
der Spiegeldrache, der auch Drachendrache genannt wird, sei zurückgekehrt und habe Lord Eon erwählt, die Regentschaft meines Sohnes vorzubereiten. Lord Eon und der Spiegeldrache sind hier, um eine Festung der Macht und des Glücks für den Erbprinzen zu errichten.«
Einen Moment lang war es still. Dann erhoben sich die Menschen in einer da und dort unterbrochenen Welle, wandten sich mir zu, verneigten sich und klatschten. Erschrocken blickte ich dem Himmlischen Meister in die Augen. Sie waren glasig vom Fieber des Glaubens – oder der Verzweiflung.
Was konnte ich tun? Mich dem Willen des Kaisers widersetzen? Das hätte meinen sofortigen Tod bedeutet. Ich starrte in das Durcheinander von Händen und Gesichtern. Mein Meister würde sicher wissen, was zu tun war. Ich stellte fest, dass er mit steifem Oberkörper und bleichem Gesicht sitzen geblieben war. Er sah zu mir auf und in seinen geweiteten Augen stand der gleiche fiebrige Glaube.
Hatte der Drache mich erwählt, um Kaiser und Erbprinz den Rücken zu stärken? Der Kaiser und mein Meister glaubten daran. Genau wie die kaiserlichen Wahrsager. Wie hätte ich es wagen sollen, ihre Überzeugung in Frage zu stellen?
Ein Reich lastete auf meinen Schultern; ein solches Gewicht vermochte ich nicht zu tragen.
Es gab noch jemanden, der bei der Ansprache Seiner Hoheit nicht aufgesprungen war. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lord Ido sich im Stuhl zurücklehnte und mich mit grimmigem Lächeln beobachtete. Meine Erhöhung zu einem Zeichen des Himmels hatte ihn weder erstaunt noch erfreut.
»Seine Hoheit hat einen zweiten kühnen Zug gemacht«, flüsterte Lady Dela hinter ihren applaudierenden Hände hervor. »Verbeugt Euch vor ihm, aber rasch – sonst kommen wir nie zum Essen.«
Sie hatte recht: Es war bloß ein weiterer Zug in einem Machtspiel. Eigenartig beruhigt drückte ich die Hände aneinander und senkte den Kopf, um die Erwartung in den Gesichtern vor mir nicht mehr sehen zu müssen. Der wuchtige Schlag des Heroldsstabs ließ den Lärm erneut verstummen. Wieder galt alle Aufmerksamkeit dem Kaiser.
»Lord Eon wird mein Gast sein, bis die Spiegeldrachenhal le wieder aufgebaut ist. Und zur Feier des Zwölften Tages wird es mir eine Ehre sein, ihm und seinem Drachen die Schätze zurückzugeben, die aus dem Brand vor fünfhundert Jahren gerettet wurden. Es ist stets eine heilige Pflicht dieser Dynastie gewesen, den Schatz des Spiegeldrachen zu schützen. Als mein Vater, der Meister der Zehntausend Jahre, mir den Tresor in unserer Bibliothek zeigte und meiner Obhut überließ, gab er mir diese weisen Worte mit auf den Weg.« Der Kaiser machte eine wirkungsvolle Pause. ›»Vergiss nicht, mein Sohn, dass ein Drache wie ein Steuereintreiber ist – bleibst du ihm auch nur ein Goldstück schuldig, wird er dich bis in alle Ewigkeit verfolgend«
Neben ihm warf Prinz Kygo den Kopf in den Nacken und lachte. Verspätet begann der Saal höflich zu kichern und die Hofdamen hielten sich die Fächer vor den Mund.
Ein Schatz? Der für mich aufbewahrt worden war?
»Gibt es tatsächlich einen Tresor voller Gold?«, fragte ich Lady Dela.
Bevor sie antworten konnte, hatte Lord Ido Dillon befohlen, seinen Platz zu räumen, und beugte sich über die breite Lücke zu mir. »Seine Hoheit hat sich in übertragenem Sinne geäußert, Lord Eon«, sagte er und warf dem Kaiser, der noch immer über seine geistreichen Bemerkungen lächelte, einen schiefen Blick zu. »Der Schatz ist nicht aus Gold.«
»Ihr habt ihn also gesehen, Mylord?«, fragte ich, um meine Enttäuschung durch eine rasche Frage zu verbergen.
»Nein, aber der Drachenrat besitzt ein Verzeichnis dessen, was damals gerettet wurde. Es handelt sich dabei um eine der ganz wenigen Aufzeichnungen, die wir von dem Spiegeldrachen besitzen.« Er hielt inne und sah den Tisch entlang zu den anderen Drachenaugen. Sie alle wirkten teilnahmslos im Vergleich zu seiner dunklen Energie. Seine Mundwinkel hoben sich. »Ihr und Euer Drache seid wirklich ein Rätsel. Wie Ihr seht, ist der Drachenrat außer sich vor Aufregung.«
Ich lächelte unwillkürlich und merkte, dass mich sein spielerischer Spott in den Bann geschlagen hatte.
Er rückte näher und ich sah seine Augen kurz silbern aufleuchten. »Dem Verzeichnis nach gehören zu den Schätzen im Tresor ein paar edle Möbelstücke …«
Plötzlich überkam mich eine Welle der Übelkeit. Ich spür te, dass sich etwas durch Schichten von Widerstand gekämpft hatte, um mir einen
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