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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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Augenblick klarer geistiger Schau zu ge währen. Vor mir schwebte eine silberne Kraftlinie, die aus der Energie bestand, die dem Saal entzogen wurde. Sie floss in Lord Ido hinein und stärkte den gelben Energiepunkt im Delta seiner Rippen, den Sitz des Charismas. Der grüne Herzpunkt darüber schien noch blasser und kleiner zu sein als zuvor.
    Er nutzte Energie, um mich zu verzaubern.
    Meine Vision zerfiel und hinterließ ein vertrautes Gefühl von Verlust. Der Spiegeldrache. Er war wieder verschwun den. Lord Ido hatte zu reden aufgehört und seine Augen waren schmal. Hatte er den Drachen auch gespürt? Ich zog mich zurück und sah, wie sein Gesicht sich verhärtete, doch seine Stimme blieb weich und lockend.
    »… und einige Instrumente, die zur Ausübung unserer Kunst nötig sind. Ich glaube, ich habe einen mit Edelsteinen besetzten Drachenkompass auf der Liste gesehen.«
    Ich musste mich von der Kraft entfernen, die mich zu ihm zog, und Platz zwischen uns schaffen. Also verneigte ich mich knapp.
    »Danke, Lord Ido.«
    »Es war mir ein Vergnügen, Lord Eon.«
    Er winkte Dillon an den Tisch zurück, während der Herold erneut Aufmerksamkeit für den Kaiser forderte.
    »Nun lasst uns essen«, erklärte der Himmlische Meister. »Zur zweiten Süßspeise werden wir den Worten der Dichter lauschen, die sie zu Ehren dieses Anlasses verfasst haben.« Er hob ein Stück geschnitzte Jade empor, das an einem roten Seidenband hing. »Und es wird einen Preis für den Künstler geben, der uns am stärksten bewegt.«
    »Einmal dürft Ihr raten, wer das sein wird«, murmelte La dy Dela. Auf meine fragende Miene hin wies sie auf den Wandschirm hinter uns. »Lady Jila gewinnt schon seit Langem je den dieser Wettbewerbe.« Ryko, der hinter ihr stand, räusper te sich tadelnd. Lady Dela seufzte gereizt. »Gut, vielleicht bin ich ungerecht. Nur weil sie die Mutter des Prinzen ist, muss sie noch keine schlechte Dichterin sein.«
    »Sie ist die Mutter des Prinzen?«, fragte ich. »Ich dachte, die Kaiserin sei –«
    Lady Dela schüttelte den Kopf und legte den Finger an die Lippen. »So wurde es aufgezeichnet, doch die Kaiserin konn te keine Kinder bekommen. Stets wird der Erstgeborene im Harem zum Sohn der Kaiserin erklärt, wenn sie keine eigenen Kinder gebiert. Auf diese Weise gibt es keine Zweifel an der Thronfolge.« Sie winkte mich näher heran. »Lasst Euch sagen, dass Lady Jila eine vernünftige Frau ist. Ihr ist klar, dass man sie zwar niemals als Mutter des Prinzen anerkennen, dass aber dennoch ihr Kind den Thron besteigen wird. Und nach zwei Mädchen hat sie kürzlich einen weiteren Sohn geboren – darum genießt sie eine angesehene Stellung im kaiserlichen Haushalt.« Lady Dela beobachtete, wie ein stämmiger Mann in kurzem weißem Gewand neben dem Regenten niederknie te. »Ah, der kaiserliche Vorkoster wurde gerufen. Also ist die kalte Vorspeise endlich im Anmarsch.«
    Noch während sie das sagte, traten zwei Reihen Eunuchen mit abgedeckten Servierplatten in den Saal und stellten sich entlang der Tische auf. Der Eunuch vor mir setzte zwei Schüsseln auf den Tisch und hielt dabei den Blick vorschriftsmäßig gesenkt. Der Herold klopfte einmal mehr auf den Boden und die Eunuchen hoben gleichzeitig die silbernen Hauben: Auf allen Tischen stand herrlich angerichtetes Essen – Schweinsragout, Kohl mit Nüssen, Ente mit Bohnen, Soleier, eingelegtes Gemüse, mit Öl angemachte Salate, klebriger Reis im Tangmantel, kaltes Brathuhn, Räucherfisch in kleinen Stücken und runde Erbsenküchlein mit Ingwer.
    »Welche Fülle!«, flüsterte ich.
    Lady Dela musterte das Schweinsragout, das vor ihr stand, und nickte dem Eunuchen zu, ihr davon auf den Teller zu schöpfen. »Haltet Euch zurück, Mylord«, mahnte sie mich und hob die Hand, um keinen weiteren Löffel voll aufgetan zu bekommen. »Es kommen noch elf Gänge.«
    Ein anderer Eunuch blieb vor mir stehen.
    »Mylord«, sagte er leise und unterwürfig. »Der Leibarzt des Kaisers schickt Euch diese Speise und bittet Euch, sie vorab zu essen, um Eure Verdauung zu stärken.«
    Ich sah zum Arzt hinüber, der am anderen Ende des Saals an einem niedrigen Tisch saß. Er hatte sein Gewand gewechselt und trug nun verschiedene Grüntöne, was ihm wegen seiner Blässe nicht stand. Ich nickte ihm dankbar zu, und er lächelte liebenswürdig und ermunterte mich mit übertriebenen Gesten, kräftig zuzulangen. Der Eunuch stellte den Teller auf den Tisch. Als er die Haube lüftete, kamen knackige

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