Drachentochter
grüne Bohnen und glatte weißliche Würfel zum Vorschein, die mit Sesamkörnern überzogen waren.
»Was ist das?«
»Kalter Aal, Mylord. Um den Kreislauf zu stärken.«
Ich griff nach den schweren silbernen Essstäbchen und war gespannt auf diesen Leckerbissen. Er hatte eine seltsame Beschaffenheit, denn er war zäh und dabei doch weich und der Sesam gab ihm einen nussigen Geschmack. Neben mir blickte Dillon sehnsüchtig auf die Ente mit Bohnen und umklammer te dabei die Tischkante.
»Mylord, würdet Ihr Lehrling Dillon behilflich sein?«, bat Lady Dela zwischen zwei Bissen.
Ich gab unserem Diener ein Zeichen und sofort legte er Dillon Ente auf den Teller.
»Sag ihnen einfach, was du willst«, ermunterte ich Dillon mit gespielter Selbstsicherheit.
Er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Sieh dir das alles nur an.«
Ich grinste, damit er sich ein wenig wohler fühlte. »Uns geht’s wirklich gut, was?«
Sein Lächeln erreichte die Augen nicht, die von Schmerz verdüstert waren. Ich kannte diesen Blick von den wenigen Malen, die er von Heuris Bellid geschlagen worden war.
»Wie ist es?«, fragte ich ihn leise und wies mit dem Kopf auf seinen neuen Meister. Lord Ido wandte uns den Rücken zu und sprach mit dem Drachenauge, das neben ihm saß.
Der schmerzliche Zug um seine Augen verstärkte sich. »Wie du schon sagst – uns geht’s wirklich gut.« Er nahm sei ne Weinschale und leerte sie erneut.
»Freut mich, das zu hören.«
Unterm Tisch presste ich den Fuß gegen sein Bein. Er erwiderte den Druck und blinzelte dabei heftig. Anscheinend waren wir beide in eine tückische Lage geraten.
»Lord Eon, erlaubt mir, Euch die Erbsenküchlein zu empfehlen.« Mit diesen Worten bereitete Lady Dela unserem Austausch ein Ende.
Zwischen den nächsten drei Gängen – auf eine Auswahl an Suppen folgten Hummer und Muscheln – gab Lady Dela leise Kommentare über die am Tisch versammelten Drachenaugen ab. Lord Tyron, der neben Ido saß, war das Büffeldrachenau ge und Anhänger des Kaisers. Ich lehnte mich zurück, um ihn genauer zu betrachten: Für ein Drachenauge war er gedrungen und tiefe Furchen liefen ihm von der Nase zu den Mundwinkeln. Auf das Jahr der Ratte folgte das des Büffels und darum würde er beim nächsten Jahreswechsel zugunsten seines Lehrlings abtreten. Neben ihm saß Lord Elgon, das Tigerdrachenauge, das beim übernächsten Jahreswechsel abdanken würde. »Zweifellos ein Anhänger von Ido«, flüsterte Lady Dela. Er hatte ein schmales Gesicht, ein vorspringendes Kinn und eine flache Nase. Lord Elgon musste zu der Zeit, als mein Meister Tigerdrachenauge gewesen war, dessen Lehrling gewesen sein, doch ich hatte meinen Meister nie über ihn sprechen hören. Neben Elgon saß Lord Silvo, das Hasendrachenauge, ein bleicher, gut aussehender Mann; die Last seines Amtes hatte seine Züge scharf hervortreten lassen, was sie noch edler wirken ließ. »Ein Grenzgänger«, sagte Lady Dela, »der sich stets bemüht, zwischen beiden Gruppen Frieden zu stiften.« Wir hatten uns gerade Lord Chion, dem Schlangendrachenau ge, zugewandt, als ein junger Eunuch in der schwarzen Livree des Harems neben Lady Dela auftauchte, sich verneigte und ihr eine mit Wachs versiegelte Schriftrolle gab, an deren Stäben Jadekugeln hingen. Sie entrollte das Schriftstück und überflog es.
»Möchte Mylady antworten?«, fragte der Eunuch.
»Nein.« Sie entließ ihn mit einer Handbewegung und las die Nachricht erneut. »Na«, sagte sie stirnrunzelnd, »das wird Aufsehen erregen. Ich hoffe nur, dass nicht der Überbringer für die Botschaft verantwortlich gemacht wird.«
Ich warf einen raschen Blick auf die flüchtig hingeworfenen Schriftzeichen, erkannte aber kein einziges. »Was ist das?«
»Lady Jilas Gedicht für den Wettstreit.« Sie legte die Rolle auf den Tisch. »Natürlich kann sie es dem Hof nicht selbst vortragen. Deshalb hat sie mich darum gebeten. Ich habe im letzten Sommer ihren Gedichtband übersetzt und es war ein großer Erfolg.«
»In welcher Sprache schreibt sie denn? Ist sie ein Kind der Östlichen Stämme?«
»Nein, nein.« Sie näherte sich meinem Ohr und flüsterte: »Es ist in der Frauenschrift verfasst.«
»In was?«
Lady Dela lächelte über meinen Gesichtsausdruck. »Diese Schrift ist sehr alt und wird von der Mutter an die Tochter weitergegeben. Ich denke, dass sie geschaffen wurde, damit Frauen sich schreiben können. Um ihre Gefühle auszudrü cken. Es geht dabei natürlich nicht um
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