Drachentochter
sie wieder ihr höfisches Lächeln aufgesetzt. »Und ich glaube, Ihr kennt Lehrling Dillon«, fuhr sie gelassen fort, erhob sich und bedeutete dem Eunuchen mit einem Nicken, ihren Stuhl zurückzuziehen. Als sie sich setzte, verneigte sich Ryko und bezog an ihrer Schulter Stellung. Seine Miene war völlig ausdruckslos. Neben mir beugte Dillon sich tief über seine gefalteten Hände.
»Lord Eon.« Sein Blick war auf den Fußboden gerichtet.
»Ich bin froh, dass wir nebeneinander sitzen«, sagte ich. »Wir haben viel zu bereden.«
Er sah kurz auf und ein zögerndes Lächeln linderte die Furcht in seiner Miene. Als ich auf meine vertraute Art zwinkerte, wurde sein Lächeln breiter.
Ich sah an ihm vorbei zu seinem Meister. »Seid gegrüßt, Lord Ido«, sagte ich nickend und war froh, dass meine Stimme nicht zitterte.
»Lord Eon, Ihr seid heute Abend prächtig gekleidet«, erklärte er aalglatt. »Ich fühle mich geehrt, dass Seine Hoheit Euch die Robe gegeben hat, die ein Geschenk meiner Familie an ihn war.«
Ich spürte, dass Lady Dela sich anders hinsetzte, um mich zu warnen. Wir waren jede Reaktion von Lord Ido, die wir uns hatten vorstellen können, durchgegangen, ehe sie an ihren Platz an der Tafel gerufen worden war. Ich zwang mir ein Lächeln ab, das so falsch war wie das seine.
»Und ich fühle mich doppelt geehrt«, versetzte ich. »Eine Robe mit einer so verheißungsvollen Geschichte kann ihrem Träger nur Glück bringen.«
Er starrte mich einen Moment lang an. »Wie wir Drachenaugen wissen, ist das Glück eine heikle Macht. In den falschen Händen kann es leicht in Unglück umschlagen. Ist es nicht so, Lord Eon?«
Ich murmelte meine Zustimmung und rückte dabei die Ro be zurecht, um das Zittern meiner Hände zu verbergen. Vor mir stand ein Teller aus lichtdurchlässigem blauem Porzellan und links und rechts davon lagen silberne Essstäbchen und ein Suppenlöffel in der Form eines Schwans. Eine makellose Jasminblüte schwamm in einer passenden blauen Fingerscha le. Ich besah mir jeden dieser Gegenstände eingehend und ihre Schönheit gab mir Trost.
»Ihr schlagt Euch gut«, sagte Lady Dela und berührte mich am Arm.
Ich sah zum Tisch gegenüber, an dem hohe Mitglieder des Hofes saßen. »Wer von denen ist Großlord Sethon?«
»Er ist nicht hier«, sagte Lady Dela leise. »Er ist abgereist, um einen Grenzstreit im Osten niederzuwerfen.« Ihr Blick zuckte zu Lord Ido. »Aber er wird Kenntnis von den Ereignissen des heutigen Abends erhalten.«
Ein wuchtiger Schlag ließ alle verstummen. Der persönliche Herold des Kaisers hatte seinen Stab mitten im Saal auf den Boden gestoßen.
»Seine Kaiserliche Hoheit wird sprechen«, rief er.
Sofort verneigten wir uns alle über unseren Tellern, doch der Himmlische Meister gestattete uns mit einer Handbewegung, uns aufzurichten.
»Wir haben uns versammelt, um den Jahreswechsel zu ehren, um zu feiern, dass Lord Ido, das Rattendrachenauge, für ein Jahr den Vorsitz im Drachenrat übernehmen wird, und um seinen neuen Lehrling Dillon zu begrüßen.« Alle beugten sich vor, um die geflüsterten Worte zu verstehen. »Doch wir feiern auch ein überaus bedeutsames Ereignis: die Rückkehr des Spiegeldrachen und den außergewöhnlichen Aufstieg eines jungen Mannes in den Rang eines Drachenauges. Lord Eon und sein Spiegeldrache gelten Uns als Zeichen, dass Unsere Herrschaft den Göttern wohlgefällig ist.« Er hob seine golde ne Schale. »Wir sagen Dank für dieses Geschenk.«
Ich starrte auf die Silberschale in meiner Hand. Der Kaiser erklärte mich zu einem Zeichen der Götter. Er war ein Ertrinkender, der nach einem Zweig griff. Und die beiläufige Art, in der er sich zum Amtsantritt Lord Idos geäußert hatte, würde dem Drachenauge ganz und gar nicht schmecken.
»Mit Dank«, sagte ich und hätte fast zu spät in die formelhafte Entgegnung eingestimmt. Dann benetzte ich die Lippen mit Wein. Neben mir leerte Dillon schlürfend seinen Becher. Als er seinen Fehltritt bemerkte, tauchten seine Augen erschrocken über dem Rand des Gefäßes auf.
»Wichtiger noch ist allerdings«, fuhr Seine Hoheit mit kräftigerer Stimme fort, »dass die Wahrsager mir berichten, der Spiegeldrache sei einer besonderen Absicht wegen außer der Reihe zu uns zurückgekehrt.«
Ich blickte auf. Seine Hoheit sah mich an.
»Es ist kein Geheimnis, dass meine Gesundheit nachlässt. Doch vor achtzehn Jahren wurde das Land mit der Geburt meines Erben, Prinz Kygo, gesegnet. Die Wahrsager erklären,
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