Drachentochter
gewachsen, was den Eindruck erweckte, Mensch und Schmuckstück seien miteinander verschmolzen.
Mein Blick sprang zu seinem Gesicht auf, und für einen Moment, in dem die Zeit stillzustehen schien, schauten wir uns in die Augen. Ich sah wieder weg, wie vorgeschrieben, bemerkte zuvor aber noch, dass sein Blick zu Lord Ido zuckte, der am Tisch unter ihm saß. Auch Seiner Hoheit war aufgefallen, dass meine Robe das Rattendrachenauge hatte erstarren lassen.
Einer der Eunuchen, die dafür zuständig waren, dass die Hofetikette eingehalten wurde, tauchte neben mir auf.
»Hier entlang, Mylord«, raunte er durch das lauter werden de Geflüster in meinem Rücken. Ich verbeugte mich und wollte mich zurückziehen.
»Lord Eon.«
Die Stimme war jung und kräftig.
Ich blickte auf und sah den Erbprinzen, der eine Stufe niedriger saß und sich nun vorgebeugt hatte. Er hatte das gleiche energische Kinn wie sein Vater und dessen breite Stirn. Und auch in seinen Augen stand die gleiche wachsame Intelligenz.
»Mein geschätzter Vater hat vorgeschlagen, Ihr könntet das Handwerk der Staatskunst erlernen, um Euch auf Eure neue Stellung als Zweites Herrschendes Drachenauge vorzubereiten«, sagte er. »Ich werde vormittags von dem ehrwürdigen Prahn unterrichtet. Hättet Ihr Lust, morgen zu uns zu stoßen?«
Ich umklammerte den Saum meiner Robe und verneigte mich erneut.
»Es wird mir eine Ehre sein, Hoheit.«
Vater und Sohn tauschten einen kurzen Blick. Lady Dela hatte einen Vorstoß in aller Öffentlichkeit vorhergesagt, der dazu dienen sollte, mich rasch in den kaiserlichen Kreis einzubeziehen. Es wird kein Befehl des Kaisers sein, hatte sie gesagt, sondern eine Einladung eines seiner Anhänger – so müsst Ihr vor aller Augen Farbe bekennen.
Doch selbst Lady Dela hatte nicht erwartet, dass der Erbprinz diese Einladung aussprechen würde.
Der Eunuch berührte mich an der Schulter und wir gingen rückwärts durch den ganzen Saal zwischen den beiden Tischreihen voller Höflinge und Verwaltungsbeamter hindurch. Die prächtig gekleideten Männer saßen mit ihren Frauen vor goldenen Wänden, an denen zahllose Öllampen befestigt waren, in deren hellem Licht sie mich – wie ich spürte – beobachte ten, während wir uns langsam entfernten. Einige waren lediglich neugierig, andere feindselig, wieder andere ängstlich. Auf halbem Weg sah ich meinen Meister. Er würde erst neben mir sitzen können, wenn ich ihn am nächsten Tag zu meinem Stellvertreter ernannt hatte. Er nickte mir zu und lächelte, doch selbst das flößte mir keinen Mut ein.
Der Eunuch führte mich die rechte Wand entlang und eine Stufe hinauf zum erhöhten Tisch der Drachenaugen, der sich neben der kaiserlichen Empore befand. Die beiden Stühle, die dem Tisch des Regenten am nächsten standen, waren leer; Ryko stand hinter dem einen und neben dem zweiten saß Dillon. Lady Dela hatte ihr Versprechen gehalten: Ich würde Gelegenheit haben, mit meinem Freund zu sprechen. Er saß kerzengerade und angststarr neben Lord Ido. Alle anderen Lehrlinge standen hinter ihren Drachenaugen und warteten darauf, sie zu bedienen. Als ich an ihnen vorbeikam, verbeugten sie sich mit gesenktem Blick. Ihre Meister waren nicht so höflich. Ich spürte eine Welle in meinem Rücken, als jedes Drachenauge sich auf seinem Stuhl umdrehte, um mich besser sehen zu können, und ihre leisen Worte folgten mir von Platz zu Platz: zu jung, eine Gefahr, zu spät.
Lady Dela schien als Einzige im Raum völlig entspannt. Sie stand in einer Saalecke neben einem großen geschnitzten Wandschirm. Durch das fein gearbeitete Muster hindurch konnte man gold geschmücktes dunkles Haar und Seidenstof fe in verschiedenen Blautönen ausmachen – die drei Konkubi nen, die sich gegenwärtig der Gunst des Kaisers erfreuten. Lady Dela verhandelte offenkundig mit einer von ihnen, denn nun machte sie jene fließende Handbewegung von der Stirn zum Herzen, mit der Abmachungen besiegelt wurden. Sie sah auf, als der Eunuch mir meinen Platz anwies.
»Lord Eon«, sagte sie und eilte herbei, wobei die schwarze Perle an ihrer Kehle ins Schaukeln geriet. »Wie schön, Euch wiederzusehen.« Sie fiel aufs Knie. »Kurz bevor er Platz nahm, hat der Prinz mich über Euch befragt, und nun hat er Euch gebeten, gemeinsam mit ihm am Unterricht teilzunehmen – eine überaus aufmerksame Einladung.« Sie schlug ihren Fächer auf und zeigte mir dahinter weit geöffnete Augen und hochgezogene Brauen. Als sie den Fächer zuschlug, hatte
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