Drachentochter
Harem nicht nur verlassen, sondern auch betre ten können.« Er grinste mich an. »Wir sollten danach suchen.«
Ich spürte, wie ich rot wurde. Der Prinz starrte mich kurz an und errötete dann seinerseits.
»Entschuldigt, Lord Eon. Natürlich seid Ihr an derlei nicht interessiert. Vergebt mir meine anstößige Bemerkung.«
Ich nickte und hielt das Gesicht sorgsam abgewandt. Zwar hätte ich gern Interesse bekundet, mich zu ihm gebeugt und ihm zugehört, doch ein Mondschatten hätte sich auf ein sol ches Gespräch nicht eingelassen. Der Prinz beschleunigte seine Schritte wieder und ließ mich allein gehen.
Wir blieben vor dem Eingang zum zweiten Gebäude stehen. Die Fensterläden waren geschlossen, doch gelber Lampenschein drang an den Rändern nach draußen. Prahn stieß die Tür auf, betrat das Haus und winkte uns herein. Ich folgte dem Prinzen, und der Geruch nach Staub und Kampfer, dem das Honigaroma des Holzwachses eine zusätzliche süße Note verlieh, raubte mir fast den Atem. Eine große Kommode stand mitten im Zimmer. Sie war dunkel lackiert und schimmerte im weichen Licht. Daneben kniete ein junger Eunuch, dessen graues Gewand weitgehend unter einem groben Kittel verborgen war, und verneigte sich vor dem Prinzen bis zum Boden. Ein langer, auf Böcken ruhender Tisch, auf dem sich eine seltsame Ansammlung von Silbergeschirr, Schmuckstücken und Porzellan befand, war an die Wand gegenüber geschoben. Ein weiterer Eunuch im Kittel lag ausgestreckt hinter einer offen stehenden lackierten Kiste, in der sich Stoffballen stapelten. Ich sah roten Samt, orangefarbene Seide und prächtigen braunen Satin mit altersbrüchigen Falten.
»Der Schatz des Spiegeldrachen«, sagte Prahn und verbeugte sich vor mir.
Das alles gehörte mir? Ich drehte mich einmal um die eigene Achse und bemerkte unter dem Fenster ein großes Räuchergefäß aus Messing und drei geschnitzte Hocker.
Der Prinz schob eine der Kommodentüren auf. »Das ist ein hübsches Stück«, sagte er. »Wie wurde es gerettet?«
»Wir nehmen an, dass es sich um eine Bestellung handelte, die nicht mehr in die Spiegeldrachenhalle ausgeliefert wurde, Hoheit«, erwiderte Prahn.
Ich berührte das geölte Holz und hinterließ einen Fleck auf der glänzenden Oberfläche.
»Lord Eon«, rief der Prinz vom Tisch her, »seht Euch diesen Drachenkompass an! Er ist prächtig.«
Es musste sich um den mit Edelsteinen besetzten Kompass handeln, den Lord Ido beim Bankett erwähnt hatte. Ich ging zum Tisch und strich im Vorbeigehen über den glatten blauen Kopf eines Porzellanlöwen. Es war das männliche Tier eines Torwächterpaars. Ich hielt nach dem weiblichen Gegenstück Ausschau, doch es schien das Feuer nicht überstanden zu haben.
Der Kompass war außergewöhnlich. Es handelte sich um eine goldene Scheibe, in deren Mitte sich ein großer Rubin befand, während weiter außen zwölf kleinere Rubine die Hauptpunkte des ersten Kreises darstellten. Die übrigen dreiundzwanzig Ringe bestanden aus winzig kleinen Perlen, die so nah nebeneinandersaßen, dass sie wie schimmernde Farbtropfen aussahen. Ich fuhr über die feinen Radierungen der Tierzeichen im zweiten Kreis. Die Hauptpunkte und die Tiere waren das Einzige, was ich verstand, doch bald würde ich lernen, mich der rätselhaften Schriftzeichen zu bedienen, die jeden einzelnen Kreis umgaben. Ich würde lernen, damit die stärksten Kraftlinien zu berechnen, die reinen Pfade des Hua zu finden und meine Energie zu bündeln.
Falls es mir gelang, den Namen meines Drachen herauszufinden.
»Wo ist die Schrift?«, fragte ich und musterte den überfüllten Tisch.
Prahn stieß den Eunuchen neben der Kommode mit dem Fuß an. »Lord Eon möchte sich das Portfolio mit den schwarzen Perlen anschauen.«
Der Eunuch hob den Kopf. »Vergebt mir, Exzellenz, aber ich habe kein solches Portfolio gesehen.«
»Was? Es muss dir aber untergekommen sein! Rotes Le der, ungefähr so groß wie meine Hand und mit Perlen umwickelt.«
»In unserer Sammlung gibt es keine Schriften, ehrwürdiger Lehrer«, sagte der Eunuch und duckte sich.
»Bist du dumm? Ich habe es doch selbst gesehen, als ich den Tresor geöffnet habe«, fuhr Prahn ihn an. »Hol mir die vom Drachenrat erstellte Liste.«
Der Eunuch rutschte hastig auf Knien über den Boden und nahm eine Schriftrolle von einem niedrigen Tisch. Prahn riss sie ihm aus der Hand und öffnete sie.
»Nun?«, fragte der Prinz.
Prahn sah auf. Seine geweiteten Augen schienen alles zu sein, was in
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