Drachentochter
rasch und richtete sich auf.
»Ja, hier sind alle gleich. Alle Ideen sind willkommen«, sagte der Kaiser. »Erhebt Euch, Lord Eon. Und Ihr auch, Lehrer Prahn.«
Ich setzte mich auf und musterte die drei Männer am Tisch argwöhnisch. Diesen Gedanken von Gleichheit verstand ich nicht. Selbst unter Sklaven gab es doch Rangunterschiede, so war die Natur des Menschen.
»Worum geht es heute in Eurem Unterricht, Lehrer Prahn?«, fragte der Kaiser.
Der Gelehrte warf mir mit hochrotem Kopf einen raschen Blick zu. »Wir beschäftigen uns mit den Vor- und Nachteilen der wirtschaftlichen und politischen Abschottung eines Landes von seinen Nachbarn, Hoheit.«
»Ein überaus betrachtenswerter Gegenstand«, versetzte der Kaiser.
Wieder warf Prahn mir einen Blick zu, und ich begriff, dass er dieses Thema meinetwegen gewählt hatte.
Das Gespräch begann, und obwohl mir nicht jeder Begriff geläufig war und ich den Namen manches Philosophen nie gehört hatte, konnte ich den Gedanken im Wesentlichen folgen. Der Kaiser reckte den goldenen Zeigefinger und lieferte eine überzeugende Verteidigung seiner Politik, das Land für Fremde zu öffnen, um mit ihnen Handel zu treiben und politische Bündnisse zu schließen. Prahn vertrat den entgegengesetzten Standpunkt, und ich wusste von Lady Dela, dass sich in der Abschottungspolitik, der er das Wort redete, die Ansichten von Großlord Sethon widerspiegelten. Der Prinz übernahm die Rolle des Vermittlers und gab manch scharfsinnigen Kommentar ab, was ihm das beifällige Nicken seines Vaters wie seines Lehrers eintrug. Schließlich wandte der Kaiser sich an mich. Der geistreiche Schlagabtausch hatte sein abgespanntes Gesicht zum Leuchten gebracht.
»Und wie steht Ihr dazu, Lord Eon? Schwächt die Aufnahme von Fremden die großartige Kultur unseres Landes?«
Mir war, als hätte ich meine Zunge verschluckt. Was konn te ich zu einem so gelehrten Streitgespräch beitragen? Ich hatte keine Ahnung von Diplomatie, kein tiefes Verständnis für Politik. Der Prinz, der mir gegenübersaß, nickte mir ermutigend zu. Ich griff nach dem Einzigen, was ich besaß: Erfahrung.
»Mir schmeckt der Kaffee, den Ari der Fremde auf dem Markt verkauft, Hoheit«, sagte ich und wusste, dass meine Worte dumm und naiv klangen. »Von einer Schwächung unserer Kultur weiß ich nichts. Es handelt sich bloß um ein Getränk, und er ist nur jemand, der es verkauft.«
Das Lächeln des Kaisers wurde breiter. »Ja, er ist ein Mann wie jeder andere.« Er beugte sich vor und hielt den Blick da bei auf mich gerichtet. »Und sagt mir, junger Philosoph, wie können wir in das Herz eines Menschen blicken? Wie können wir erkennen, ob er böse Absichten hat oder uns wohlgesinnt ist?«
Hinter dieser Frage verbarg sich etwas, das ich nicht verstand. Eine Art Test. Worauf wollte der Kaiser hinaus? Seine Politikermiene bot mir keinen Anhaltspunkt; er hatte seine Gedanken ein Leben lang verborgen. Der Klang der Stundenuhr drang durch den Hof und die Musik der Frauen verstummte. Der gesamte Palast schien auf meine Antwort zu warten.
»Niemand kann je wirklich wissen, was im Herzen eines anderen vorgeht«, sagte ich. Genau darauf setzten mein Meister und ich ja unsere Hoffnungen. Ich ballte die Fäuste neben den Schenkeln und ertrug die lange Stille, während Seine Hoheit mich eingehend musterte.
»Allerdings«, sagte er schließlich. »Jeder Mensch hat eine verborgene Seite. Ich bin froh, dass Ihr Euch dessen bewusst seid, Lord Eon.«
Ich fuhr mir mit der Zunge über die plötzlich trockenen Lippen. Hatte der Kaiser mich durchschaut? Ich straffte mich, als er sich an den Prinzen wandte.
»Doch es ist wichtig zu begreifen, dass eine verborgene Seite nicht immer böse ist«, sagte er zu seinem Sohn. »Hab ich nicht recht, Lord Eon?«
Ich nickte und lächelte erleichtert; Blicke und Auftreten des Kaisers machten deutlich, dass es nicht um mich ging. Seine Fragen zielten auf andere Dinge – auf die Unterweisung seines Erben und den Schutz seines Throns.
Der Kaiser seufzte und setzte sich im Tragsessel auf. »Ein überaus belebendes Streitgespräch, Lehrer Prahn. Kompliment. Aber jetzt ist es Zeit für mich, die täglichen Erlasse zu unterzeichnen.«
Auf sein Klatschen hin kamen die beiden Diener wieder ins Zimmer geeilt und hoben unter den völlig überflüssigen Anweisungen des Arztes flink die Sänfte an. Ich verbeugte mich tief, während der Kaiser hinausgetragen wurde und der Arzt um den Tragesessel flitzte und seinen
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