Drachentochter
geschlossenen Seidenfächer ungeduldig gegen seinen Oberschenkel. Der Vormittag war noch längst nicht vorbei, doch die Hitze hatte die Luft im Hof der Rattendrachenhalle schon schwül werden lassen. Kleine Orangenbäumchen schufen eine üppige grüne Umgrenzung, warfen aber nicht genug Schatten, als dass sie Schutz vor der Sonne gespendet hätten. Die übrigen Drachenaugen standen vorn auf dem Platz zu zweit oder zu dritt zusammen. Ihre Lehrlinge hatten sie dicht bei sich und ihre gemurmelten Gespräche verloren sich in dem großen gepflasterten Hof. Obwohl niemand meinen Meister und mich ansah, galt uns doch offenkundig alle Aufmerksamkeit.
»Bist du dir über deine heutige Rolle im Klaren?«, fragte mein Meister.
Ich nickte und gab mir alle Mühe, das Jucken unter meinem verschwitzten Brustband zu ignorieren.
»Sie scheint mir recht einfach zu sein«, sagte ich.
Auf dem kurzen Weg zur Halle hatte mein Meister mir erklärt, was bei der Ratsversammlung zu erwarten war: Er würde die Rolle des stellvertretenden Lords annehmen, und ich würde ihm mein Amt so lange überlassen, bis ich gelernt hatte, was zu seiner Ausübung nötig war. Doch das erklärte nicht die Anspannung in den Gesichtern ringsum.
Ich trank einen großen Schluck Wein. Der herbe Geschmack löste die Panik, die mir wie ein Knoten in der Brust saß. Es gab nichts zu befürchten – mein Meister wusste schließlich, was er tat –, doch ich konnte mein Unbehagen nicht abschütteln. Vielleicht lag es bloß daran, dass ich mich im Herrschaftsbereich von Lord Ido befand. Ich ließ meinen Blick erneut durch den Hof schweifen. Er war noch nicht erschienen.
»Das befreit dich von der Verpflichtung, jede Ratssitzung zu besuchen«, sagte mein Meister. »Du musst später erfahren, wie der Drachenrat arbeitet, doch zunächst ist es wichtiger für dich, deine Fähigkeiten als Drachenauge zu entwickeln.«
Ich strich eine nicht vorhandene Falte aus dem Ärmel meines roten Gewands, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. Am Nachmittag sollte ich meine erste Lektion in den Staminata bekommen; bald würde ich lernen, den Fluss meines Hua meinem Willen zu unterwerfen. Aber wie lange würde ich mich durch den Unterricht und die Übungen mogeln können, ehe jemand erkannte, dass ich meinen Drachen nicht zu rufen vermochte? Ich suchte den Hof einmal mehr mit den Augen ab, diesmal nach Dillon. Vielleicht hatte er die Schrift des Spiegeldrachen in Lord Idos Gemächern gesehen?
Plötzlich straffte sich mein Meister. Lord Tyron hatte seine Gruppe verlassen und kam – dicht gefolgt von seinem groß gewachsenen Lehrling – auf uns zu.
Getreu Lady Delas Unterweisung verbeugte ich mich vor dem älteren Mann. Als Büffeldrachenauge trug er ein Gewand von prächtig amethystblauer Farbe, das seine gerötete Haut und die bläulichen Ringe unter seinen Augen betonte.
»Seid gegrüßt, Lord Tyron«, sagte ich.
Er nickte mir und meinem Meister zu. »Seid gegrüßt. Erlaubt mir, Euch Hollin vorzustellen, der nun im elften Jahr mein Lehrling ist.«
Hollin verbeugte sich vor uns und seine kleinen dunklen Augen wirkten so klug wie die seines Meisters. Im nächsten Jahr würde er Büffeldrachenauge werden und durfte sich deshalb mit Fug und Recht als mir ebenbürtig betrachten. Mir gefiel, was ich sah – er hatte einen ruhigen Blick und seine langgliedrige Unbeholfenheit stand in reizvollem Kontrast zu seiner selbstbeherrschten Ausstrahlung.
»Es war ein überaus interessanter Abend«, sagte Lord Tyron. »Eine wahre Lehrstunde in Strategie, was, Hollin?«
Der jüngere Mann nickte und ein gezwungenes Lächeln milderte die ersten Sorgenfalten in seinem Gesicht.
»Hat unser Freund es versucht?«, fragte mein Meister.
Ich sah erst ihn, dann Tyron an. Über wen sprachen sie da? Die drei Männer steckten die Köpfe zusammen und schlossen mich von der Unterhaltung aus.
»Ja«, sagte Tyron. »Aber Dram hat mit der älteren Entscheidung gekontert und Ido den Wind aus den Segeln genommen. Jetzt ist der Beschluss vertagt worden, bis die Gültigkeit Eures Standpunkts bestätigt ist.«
Mein Meister lächelte angespannt. »Sicher wird er es heute erneut versuchen. Sind genügend Stimmen auf unserer Seite?«
Tyron zuckte die Achseln. »Wir wissen nicht, wie Silvo sich entscheiden wird.« Er verneigte sich und kehrte zu der Gruppe zurück, von der er gekommen war. Hollin folgte ihm dichtauf wie ein verlängerter Schatten.
Mein Meister stellte sich anders hin, um Lord Silvo besser
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