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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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seinem Gesicht noch Farbe hatte.
    »Aber ich –« Er setzte neu an. »Mylord, in dieser Liste ist kein Portfolio aufgeführt. Aber ich hab es gesehen. Da bin ich mir sicher.«
    Ich durchmaß das Zimmer mit wenigen Schritten und pflückte Prahn die Schriftrolle aus den erschlafften Händen. »Steht es wirklich nicht drauf?«
    Der Prinz folgte mir und sah mir über die Schulter, als ich das Verzeichnis studierte.
    Von einer Schrift war nirgendwo die Rede. Ich ließ das untere Ende der Liste los und sie rollte sich zusammen.
    Die Hand des Prinzen schnellte vor und traf den alten Mann ins Gesicht. Es war nur ein leichter Schlag gewesen – eher symbolische Handlung als Bestrafung. Prahn nahm ihn lautlos hin, fiel auf die Knie und verbeugte sich vor seinem jungen Herrn bis auf den Boden.
    »Es tut mir leid, Hoheit.«
    »Ihr solltet Lord Eon wegen Eurer Unfähigkeit um Verzeihung bitten«, erwiderte der Prinz kalt.
    Der alte Gelehrte raffte sich umgehend auf und wandte sich mit gebücktem Rücken an mich. »Mylord, bitte vergebt einem alten Mann sein schlechtes Gedächtnis.«
    Der Prinz wandte sich an mich. »Wollt Ihr, dass er gezüchtigt wird?«
    Ich starrte in sein ungerührtes Gesicht. Im Pavillon hatte ich gedacht, eine erste Ahnung von dem jungen Herrscher bekommen zu haben, aber das war nichts im Vergleich zu dem jungen Kaiser, der nun neben mir stand. Ich konnte wirklich an seine Abstammung von Drachen glauben.
    »Nein«, sagte ich rasch. »Ich bin sicher, dass er glaubte, dieses Portfolio gesehen zu haben.«
    Der Prinz nickte. »Das stimmt vermutlich. Eine gerechte Entscheidung.« Er blickte auf den Bibliothekar herunter. »Wir werden über dieses Versagen hinwegsehen, Prahn. Ihr habt Euren Dienst bis jetzt vorbildlich verrichtet. Achtet darauf, dass Euch ein solcher Fehler kein zweites Mal unterläuft.« Er packte mich an der Schulter. »Kommt, gehen wir uns die Schwerter ansehen.« Er verließ das Zimmer.
    Prahn verbeugte sich nun auch vor mir. »Lord Eon, ich entschuldige mich erneut. Ich war mir sicher, dass sich eine solche Schrift unter den Schätzen befindet.«
    Verwirrung und verletzter Stolz standen ihm ins Gesicht geschrieben, doch da war auch ein tiefes Unbehagen. Lehrer Prahn war ein sehr genauer Mann – es erschien mir unwahrscheinlich, dass ihm ein solcher Fehler unterlaufen war.
    »Woher habt Ihr die Liste eigentlich?«, fragte ich ihn.
    »Lord Ido hat sie mir persönlich gebracht«, erwiderte er.
    Das Knistern von Pergament ließ uns beide auf meine Hand sehen. Ich hatte die Schriftrolle zerknüllt.
    »Lord Ido?«, fragte ich und versuchte, höflich interessiert zu klingen, doch meine Stimme war angespannt, meine Kehle beinahe zugeschnürt. »Und warum hat er sie vorbeigebracht?«
    »Es war seine Pflicht, Mylord. Als Vorsitzender des Rats hat er den Tresor geöffnet und den Inhalt mit mir geprüft. Ich bin mir sicher, dass das Portfolio aufgelistet war. Und Lord Ido hat es auch gesehen.« Prahn runzelte die Stirn. »Obwohl ich mich nicht mehr genau an die Situation erinnern kann. Vielleicht werde ich langsam wirklich zu alt.«
    Ich erinnerte mich an das kurze silberne Aufleuchten in Lord Idos Augen, als er mich in seinen Bann hatte ziehen wollen. Hatte er damit bei Prahn Erfolg gehabt und seine Kraft eingesetzt, um den alten Mann zu verwirren?
    »Es war bloß ein Fehler, Lehrer«, sagte ich und gab ihm die geglättete Schriftrolle zurück. »Es ist nichts Schlimmes geschehen. Vergessen wir die Sache und schließen wir uns dem Prinzen an. Wir sollten ihn nicht warten lassen.«
    Prahn nickte, verbeugte sich und konnte es kaum erwarten, die erlittene Demütigung hinter sich zu lassen.
    Ich sah mich ein letztes Mal im Zimmer um. Es gab keinen Beweis, dass unter diesen Schätzen je eine Schrift gewesen war – und wer würde mehr auf das nachlassende Gedächtnis eines alten Lehrers geben als auf das Wort eines Herrschenden Drachenauges? Aber ich hätte mein gesundes Bein darauf verwettet, dass es dieses Portfolio tatsächlich gab und Lord Ido es gestohlen hatte.
    Ob es den Namen meines Drachen enthielt? Ich wusste, wie unwahrscheinlich das war, doch mir blieb keine andere Hoffnung.
    Irgendwie musste ich diesen Text wieder auftreiben.

 
10
     
    Ich nahm einen Becher Wein von dem Tablett, das der Diener mir hinhielt. Kaltes Wasser wäre mir lieber gewesen, aber jede Art von Flüssigkeit war mir mehr als willkommen. Mein Meister schlug das Angebot mit einem Kopfschütteln aus und klopfte mit dem

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