Drachentochter
begrüßt.
»Ihr beide seid erwählt, euch mit einem Energiedrachen zu verbinden«, sagte er, und sein Lächeln schien uns zu gratulieren. »Doch um zu lernen, seine Macht zu kontrollieren, müsst Ihr eine lange, beschwerliche Reise auf euch nehmen. Und Ihr, Lord Eon …«
Ich straffte mich, als er sich zu mir vorbeugte. Hatte er bereits erraten, dass ich meinen Drachen nicht zu rufen vermochte?
»Eure Reise wird noch schwieriger sein, da Ihr sie ohne Begleitung eines amtierenden Drachenauges antreten müsst.«
Ich senkte den Kopf, um meine Erleichterung zu verbergen. »Ja, Meister.«
Er tätschelte mir den Arm. »Macht Euch keine Sorgen – Ihr seid nicht allein.« Er richtete sich auf. »Ihr beide seid hier, um die Staminata zu erlernen, den altehrwürdigen Weg, das Hua zu lenken. Das wird Euch helfen, dem Energieverlust standzuhalten, den die Arbeit mit einem Drachen immer mit sich bringt.« Er klatschte laut und rieb sich energisch die Hände. »Nun, ich weiß, dass es über die Drachen und ihre Kraft jede Menge Gerüchte gibt. Packen wir den Stier also bei den Hörnern.« Er zeigte auf Dillon. »Was wollt Ihr wissen?«
Die Frage traf Dillon völlig unvorbereitet. Er blinzelte nervös.
»Ist es wahr, dass ein Drachenauge sein Hua an seinen Drachen abgibt?«, fragte er schließlich.
Tellon nickte. »Ein Drachenauge nutzt seine Lebenskraft, um die Elementarenergie seines Drachen zu beherrschen, und dabei gibt er einiges von seiner Kraft an den Drachen ab. Doch die Staminata verzögern den Verlust des Hua und fördern seine Zirkulation.« Er zeigte auf mich. »Lord Eon?«
Ich dachte an den Moment im Bad, als der Rattendrache sich über mir aufgebäumt und mich gegen die Wand geschleudert hatte, und an den Feuerball aus Energie, der dabei durch mich hindurchgegangen war.
»Entzieht ein Drache stets Hua?«, fragte ich zögernd. »Kann er nicht auch Lebenskraft auf das Drachenauge übertragen?«
Meister Tellon schüttelte den Kopf. »Nein. Außer bei der Vereinigung natürlich.«
Diese Antwort beschäftigte mich. Hatte der Rattendrache sich demnach mit mir verbunden? Das war doch unmöglich.
Tellon stieß den Zeigefinger in die Luft. »Nächste Frage.«
Dillon beugte sich vor. »Meister, stimmt es, dass Ihr jemanden töten könnt, einfach nur, indem Ihr sein Hua unterbrecht?«
»Das stimmt«, sagte Tellon ruhig.
Dillon bekam große Augen. »Werden wir das auch lernen?«
»Nein.«
Dillon lehnte sich enttäuscht zurück. Ich betrachtete die winzigen Holzplättchen des Fußbodens und dachte über meine nächste Frage nach. Sie war gewagt und musste deshalb sorgfältig formuliert werden.
»Ich habe gehört, dass ein Drachenauge die Macht eines anderen Drachen rauben kann«, sagte ich.
Tellon lächelte. »Dieses Gerücht geht jedes Jahr aufs Neue um. Es stimmt nicht – zu jedem Drachen gehört nur ein Drachenauge.« Er winkte uns heran und senkte die Stimme. »Doch es gibt eine Legende, die davon erzählt, wie man sich die Kraft aller Drachen nutzbar machen kann. Sie besagt, wenn ein Drachenauge die anderen Drachenaugen und ihre Lehrlinge tötet, fließt ihm die Energie der zwölf Drachen zu und gibt ihm die Macht eines Gottes … bevor sie ihn zerreißt.«
Dillon schnappte nach Luft. »Wirklich?«
Tellon lachte und tippte ihm an die Stirn. »Ich an Eurer Stelle würde jetzt nicht damit beginnen, die Ermordung Eurer Brüder zu planen. Das ist nur eine Geschichte, die jungen Lehrlingen Angst machen soll.«
Dillon lächelte. Die Aufgeräumtheit des Meisters ließ ihm leichter ums Herz werden.
Tellon klatschte erneut, um uns wieder zur Aufmerksamkeit zu rufen. »Jetzt werde ich euch die Staminata zeigen. Es handelt sich dabei um meditative Bewegungen, die sehr langsam und beherrscht erfolgen. Die vierundzwanzig Stellungen, die ihr erlernen werdet – zusammen mit verschiedenen Atemtechniken –, lassen euer Hua entlang der zwölf Kraftlinien und durch die sieben Energiepunkte strömen.« Er führte die Hand vom Unterleib bis zur Schädeldecke und berührte dabei die Energiepunkte. »Am Ende werdet ihr so weit sein, jeden dieser Punkte so anzuregen, dass er das Hua auf jene körperlichen, seelischen und geistigen Ebenen leitet, wo ihr es am nötigsten braucht.«
Er stand auf. »Seht her.«
Seine Muskeln und Glieder lockerten sich, sein Schwerpunkt schien sich zur Erde hin zu verlagern und er breitete die langen Arme vor sich aus. Die Augen blickten in die Ferne, schienen aber gleichzeitig noch immer
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