Drachentochter
klatschte in die Hände und rief: »Lord Eon möchte Lady Dela sprechen.«
Schritte waren zu hören, und eine Gestalt in langem braunem Gewand tauchte aus dem Halbdunkel auf: ein Mädchen, deren Zöpfe zum akkuraten Dutt einer Zofe hochgesteckt waren. Im Licht blitzten drei silberne Troddeln auf, die an einer durch den Dutt geschobenen Haarnadel hingen. Diesen für eine Dienerin kostbaren Besitz hatte ihr vermutlich Lady Dela geschenkt. Das Mädchen blinzelte ins Helle und rümpfte angesichts meines Übungsgewands die Nase. Dann sah sie mir ins Gesicht, schnappte nach Luft und fiel auf die Knie.
»Mylord.« Ihre Stirn berührte beinahe den Boden. »Verzeiht, Mylord. Lady Dela ist nicht zu Hause.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Wann wird sie zurückerwartet?«, fragte ich und war froh, dass das tief verbeugte Mädchen nicht sehen konnte, wie sehr ich über meine Dummheit errötet war – ein Drachenauge besuchte eine Hofdame schließlich nicht im Trainingsgewand!
»Sie ist noch nicht lange weg, Mylord. Wenn Ihr drinnen warten wollt, kann ich sie holen.«
»Ja, ich werde warten.«
Ich verabschiedete den Pförtner und folgte dem Mädchen in den schmalen Flur, wo mir Jasminduft – das Parfüm von Lady Dela – entgegenschlug.
Das große Zimmer des Hauses diente offenbar zum Wohnen wie zum Empfang von Gästen. In einer Ecke am Fenster standen sich – halb verdeckt von einem anmutigen Wandschirm, dessen Schwarzholzrahmen nicht mit Seide, sondern mit dünnem Pergament bespannt war – zwei hohe Stühle an einem kleinen Tisch gegenüber. An der linken Wand stand ein niedriger Esstisch, unter dem sich Sitzmatten aus Stroh stapelten. An der anderen Wand stand eine Tagesliege, die mit königsblauem Samt bezogen und mit Baumwollkissen überhäuft war, deren Farben von Cremeweiß bis Nachtblau reichten. Einige gestopfte Stellen hoben sich wie alte Narben vom Samt ab.
Das Mädchen führte mich zu den hohen Stühlen. »Möchtet Ihr Wein, Mylord?«, fragte sie mich.
»Nein, danke.« Ich setzte mich und das dünne Holz knackte.
Sie verbeugte sich und ging. Durchs offene Vorderfenster sah ich sie die Gasse entlangeilen, wobei sie ihre kostbare Haarnadel mit der Hand festhielt.
Der Stuhl wirkte nicht sehr stabil. Besorgt, er könnte kaputtgehen, stand ich auf. Einige kleine Schachteln auf einem Regal über der Tagesliege erweckten mein Interesse. Es handelte sich um fünf Schatullen von ganz unterschiedlicher Form. Ich kniete mich auf die Liege und nahm eine davon in die Hand. Sie war aus hellem Holz, und ihre Einlegearbeit aus schwarzem Stein zeigte eine Spinne, ein Symbol des Glücks. Ich fuhr mit dem Fingernagel unter den Deckel und klappte ihn auf. In der Schachtel befand sich eine dünne Schicht Pulver. Ich schnüffelte daran und stellte fest, dass es sich um Rosenkreide handelte, also um Gesichtspuder. Ich stellte die Schachtel ins Regal zurück und erhob mich von der Liege.
Vor der Schwelle zum nächsten Zimmer befand sich ein dicker Vorhang aus dunkelblauem, recht verblichenem Damast. Es wäre ein unentschuldbarer Verstoß gegen die Regeln der Höflichkeit, den Raum dahinter zu betreten. Ich warf einen Blick auf die Gasse vor dem Fenster, vergewisserte mich, dass niemand kam, schob den Vorhang beiseite und trat in ein kleines Ankleidezimmer.
Ein stechender Zederngeruch drang mir in die Nase und ließ mich husten. Er kam vermutlich von den drei großen Truhen an der Wand. Ihnen gegenüber standen lange, tiefe Regale, in denen sauber in Kattun verpackte Bündel lagen – Lady Delas Gewänder, ihr ganzes Vermögen. Durch ein Wachspapierfenster drang mildes Licht. Daneben hing ein langes grünes Kleid an einem Ständer. Ich berührte es und spürte den Stoff wie feinen Sand durch die Finger gleiten. Dieses Gewand also hatte sie sich für den Abend ausgesucht.
Ich ging zu einem Kleiderschrank aus schlichtem Holz und schob die Tür langsam mit dem Finger beiseite. Unterwäsche: bestickte Seidenschlüpfer; karoförmige Trikots, die an Taille und Nacken gebunden wurden; sogar gestärkte Brustbänder. Da erst begriff ich, dass ich nach etwas suchte, das nicht zu einer Frau passte. Was tat ich da? Suchte ich nach einer Lüge wie der meinen? Aber Lady Dela war die Ehrlichste von uns allen. Ich schob die Tür mit Schwung wieder zu und der lange Spiegel neben mir warf mir ein Bild meines Verrats zurück.
Ich musterte das argwöhnische Kind, das mir – halb Junge, halb Mädchen – aus dem Spiegel entgegensah.
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