Drachentränen
stimmte was nicht. Nicht nur, dass sie bewegungslos wie Statuen waren. Noch etwas.
Connie lief über den Parkplatz auf die merkwürdige Szene zu.
»Wo gehst du hin?« fragte Harry.
»Mal nachsehen.«
Ihr Instinkt erwies sich als zuverlässig. Die Pause hatte mitten in einem Überfall zugeschlagen.
Der erste Mann zog gerade mit seiner Scheckkarte dreihundert Dollar aus dem Automaten. Er war Ende Fünfzig, hatte weiße Haare, einen weißen Schnurrbart und ein freundliches Gesicht, in dem jetzt Angst stand. Das Päckchen brandneuer Geldscheine war gerade dabei gewesen, durch den Ausgabeschlitz zu rutschen, als alles stehen blieb.
Der Straßenräuber war um die Zwanzig, blond und gut aussehend. Er trug zwar jetzt Nikes, Jeans und Sweatshirt, war aber wohl einer von diesen Typen am Strand, die man den ganzen Sommer lang überall im Zentrum von Laguna Beach antreffen konnte, in Sandalen und abgeschnittenen Jeans, mit einem flachen Bauch, einer mahagonifarbenen Bräune und von der Sonne gebleichten Haaren. Wenn man ihn so betrachtete, wie er im Augenblick aussah oder im Sommer wahrscheinlich aussehen würde, würde man ihn wohl für jemanden halten, der wenig Ehrgeiz und viel Sinn für Freizeit hat, doch man würde sich kaum vorstellen, dass jemand, der so gesund aussah, etwas Kriminelles vorhaben könnte. Selbst während dieses Überfalls wirkte er engelhaft und hatte ein angenehmes Lächeln. Er hielt eine .32er Pistole in der rechten Hand, die Mündung gegen das Rückgrat des älteren Mannes gedrückt.
Connie ging um das Paar herum und betrachtete es nachdenklich.
»Was hast du vor?« fragte Harry.
»Wir müssen uns darum kümmern.«
»Wir haben keine Zeit.«
»Wir sind Cops, oder etwa nicht?«
Harry sagte: »Wir werden verfolgt, verdammt noch mal!«
»Wer sorgt denn dafür, dass die Welt nicht mit allem Drum und Dran zum Teufel geht, wenn wir es nicht tun?«
»Moment mal, einen Augenblick«, sagte er. »Ich hab gedacht, du machst diesen Job wegen dem ganzen Nervenkitzel und um dir selbst was zu beweisen. Hast du das nicht vorhin gesagt?«
»Und machst du ihn nicht, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Unschuldigen zu schützen?«
Harry holte tief Luft, als ob er sich mit ihr streiten wollte, doch dann gab er nur einen heftigen gereizten Seufzer von sich. Das war nicht das erste Mal während der letzten sechs Monate, dass sie diese Reaktion bei ihm auslöste.
Sie fand, dass er irgendwie süß war, wenn er sich aufregte. Es war eine angenehme Abwechslung von seiner gewohnten Gelassenheit, die langweilig wurde, weil sie so konstant war. Tatsächlich gefiel Connie sogar, wie er in dieser Nacht aussah, zerknittert und unrasiert. Sie hatte ihn noch nie so gesehen, niemals erwartet, ihn so zu sehen, und fand, dass er eher verwegen als abgerissen aussah, gefährlicher, als sie es bei ihm für möglich gehalten hätte.
»Okay, okay«, sagte er, und trat auf die Überfallszene zu, um sich den Täter und das Opfer genauer anzusehen. »Was willst du tun?«
»Ein paar Änderungen vornehmen.«
»Könnte gefährlich sein.«
»Diese Sache mit der Geschwindigkeit? Der Falter ist doch auch nicht auseinander gefallen.«
Vorsichtig tippte sie mit einem Finger gegen das Gesicht des Räubers. Seine Haut fühlte sich lederartig an, und sein Fleisch war irgendwie fester, als es eigentlich hätte sein sollen. Als sie den Finger wegzog, hinterließ sie ein leichtes Grübchen auf seiner Backe, das offenbar nicht verschwinden würde, bevor die PAUSE vorbei war.
Sie starrte ihm in die Augen und sagte: »Arschloch.«
Er nahm ihre Gegenwart in keiner Weise zur Kenntnis. Sie war für ihn unsichtbar. Wenn die Zeit ihren normalen Fluss wieder aufnahm, würde er nicht wissen, dass sie da gewesen war.
Sie zog den Arm mit der Waffe zurück. Er ließ sich bewegen, allerdings nur gegen starken Widerstand.
Connie blieb beharrlich, weil sie Angst hatte, dass sich die Zeit genau dann wieder in Bewegung setzen würde, wenn sie es am wenigsten erwartete, und dass der wieder belebte Straßenräuber sich über ihre Anwesenheit erschrecken und aus Versehen abdrücken könnte. Es wäre durchaus denkbar, dass er ihretwegen den älteren Mann abknallen würde, obwohl er ursprünglich nur einen Überfall geplant hatte.
Als die Mündung der .32er nicht mehr gegen das Rückgrat des Opfers gepresst war, schob Connie sie langsam nach links, bis sie überhaupt nicht mehr auf den Mann gerichtet war, sondern harmlos in die Nacht zielte.
Harry
Weitere Kostenlose Bücher