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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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zärtlich das Handgelenk. Er streichelte das welke Fleisch an ihrem Unterarm.
    In ihrer Blindheit wartete sie und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was für Grausamkeiten folgen würden.
    Er kniff ihr in den Arm, und eine wortlose Bitte um Gnade entfuhr ihr. Er kniff fester, dann noch mal, aber wahrscheinlich nicht fest genug, um einen Bluterguss zu hinterlassen.
    Während sie das ertrug, fragte sich Jennifer, wie sein Gesicht wohl aussah, ob es hässlich, unscheinbar oder hübsch war. Sie wusste intuitiv, dass es kein Segen wäre, ihr Augenlicht wiederzugewinnen, wenn sie auch nur einmal gezwungen wäre, in seine abscheulichen Augen zu blicken.
    Er steckte ihr einen Finger ins Ohr, sein Nagel schien lang und spitz wie eine Nadel zu sein. Er drehte ihn und kratzte und drückte noch fester, bis der Schmerz von dem Druck unerträglich wurde.
    Sie schrie, doch niemand reagierte.
    Er berührte ihre flachen Brüste, die von den langen Jahren, die sie auf dem Rücken liegend und mit intravenöser Ernährung verbracht hatte, eingeschrumpft waren. Selbst in ihrem geschlechtslosen Zustand waren ihre Brustwarzen eine Quelle des Schmerzes, und er wusste, wie er Qualen erzeugen konnte.
    Doch das Schlimme war nicht so sehr, was er ihr antat… sondern was er sich als nächstes ausdenken könnte. Sein Einfallsreichtum war unendlich. Der wahre Schrecken lag in der Erwartung des Unbekannten.
    Sie schrie nach jemandem, irgendwem, Hilfe, einem Ende. Sie bat Gott, sie sterben zu lassen.
    Ihre Schreie und Hilferufe verhallten ungehört.
    Schließlich litt sie nur noch stumm.
    Er ließ sie los, doch ihr war deutlich bewusst, dass er immer noch an ihrem Bett war.
    »Liebe mich«, sagte Bryan.
    »Bitte geh weg.«
    Leise: »Liebe mich.«
    Wenn Jennifer hätte Tränen hervorbringen können, hätte sie geweint.
    »Liebe mich, dann habe ich keinen Grund mehr, dir weh zu tun. Ich will ja nur, dass du mich liebst.«
    Sie war genauso wenig in der Lage, ihn zu lieben, wie sie mit ihren zerstörten Augen Tränen hervorbringen konnte. Es wäre leichter, eine Schlange zu lieben, einen Felsen oder die kalte, gleichgültige Schwärze zwischen den Sternen.
    »Ich will ja nur geliebt werden«, beharrte er.
    Sie wusste, dass er unfähig zur Liebe war. Ja, er hatte noch nicht einmal die leiseste Vorstellung von der Bedeutung des Wortes. Er wollte die Liebe einfach nur haben, weil er sie nicht bekommen konnte, nicht fühlen konnte, weil sie etwas Geheimnisvolles für ihn war, das große Unbekannte. Selbst wenn sie ihn lieben und von ihrer Liebe überzeugen könnte, würde sie das nicht retten, denn er würde von dieser Liebe nicht berührt, wenn man sie ihm schließlich doch gab, würde ihre Existenz verleugnen und sie aus Gewohnheit weiterhin quälen.
    Plötzlich setzte das Regengeräusch wieder ein. Stimmen auf dem Flur. Die quietschenden Räder des Wagens, auf dem die Tabletts mit dem Abendessen standen.
    Die Qual war vorbei. Vorläufig.
    »Ich kann heute Abend nicht lange bleiben«, sagte Bryan. »Nicht die übliche Ewigkeit.«
    Er kicherte über diese Bemerkung, amüsierte sich über sich selbst. Doch für Jennifer war es nur ein widerlicher, feuchter Ton in seiner Kehle, ohne jeden Humor.
    Er sagte: »Ich habe ganz unerwartet mehr Arbeit bekommen. Viel zu tun. Ich fürchte, ich muss gehen.«
    Wie immer beugte er sich als Zeichen seines Abschieds über das Bettgitter und küsste sie auf die taube linke Seite ihres Gesichts. Sie konnte den Druck oder die Beschaffenheit seiner Lippen auf ihrer Wange nicht spüren, nur einen Hauch von Kälte. Sie vermutete, dass sein Kuss sich nicht anders angefühlt hätte, nur noch kälter vielleicht, wenn er ihn auf die noch empfindsame rechte Seite ihres Gesichts gedrückt hätte.
    Als er ging, tat er es geräuschvoll, und sie lauschte auf seine sich entfernenden Schritte.
    Kurze Zeit später kam Angelina, um sie zum Abendessen zu füttern. Weiche Nahrung. Kartoffelpüree mit Bratensauce. Pürierte Erbsen. Apfelmus mit einer Prise Zimt und braunem Zucker, Eis. Dinge, die sie ohne Mühe schlucken konnte.
    Jennifer sagte nichts darüber, was mit ihr passiert war. Aus Erfahrung wusste sie, dass man ihr nicht glauben würde.
    Er musste wie ein Engel aussehen, denn außer ihr schien jeder geneigt, ihm auf den ersten Blick zu vertrauen und ihm nur die freundlichsten Motive und edelsten Absichten zu unterstellen.
    Sie fragte sich, ob ihr Martyrium niemals enden würde.
     

Kapitel 15
     

    Ricky Estefan schüttete

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