Drachentränen
etwas Zeit außerhalb des Dienstes zu verbringen. Wenigstens ein bisschen privater Kontakt zwischen Partnern war ratsam, weil das dazu beitrug, die besondere Beziehung zu festigen, die zwischen Polizisten bestand, die ihr Leben füreinander aufs Spiel setzen mussten. Sie mussten darüber reden, was sie am Nachmittag durchgemacht hatten, es zusammen noch einmal durchleben und es damit von einer traumatischen Erfahrung in eine brillante Anekdote umformen, mit der man noch jahrelang Neulingen auf den Wecker gehen konnte.
Und in Wahrheit wollte er ein bisschen mit Connie Zusammensein, weil er angefangen hatte, sich für sie nicht nur als Partnerin, sondern auch als Frau zu interessieren. Was ihn überraschte. Sie waren so gegensätzlich. Lange hatte er sich eingeredet, dass sie ihn verrückt mache. Jetzt konnte er nicht aufhören, an ihre Augen zu denken, an den Glanz ihres Haars und an ihre vollen Lippen. Obwohl er sich das nicht hatte eingestehen wollen, hatte sich diese Veränderung in seiner Haltung seit einiger Zeit angebahnt, doch heute waren die Weichen in seinem Kopf endgültig umgesprungen.
Das war nicht weiter rätselhaft. Er war fast getötet worden. Mehr als einmal. Eine Berührung mit dem Tod trug dazu bei, Gedanken und Gefühle zu klären. Und er hatte nicht nur eine Berührung mit dem Tod gehabt, er war von ihm fest umarmt worden.
Er hatte selten so viele starke Gefühle auf einmal gehabt: Einsamkeit, Angst, nagender Selbstzweifel, Freude, am Leben zu sein, und ein so intensives Verlangen, dass es auf sein Herz drückte und das Atmen etwas schwieriger machte als sonst.
»Wo soll ich unterschreiben?« fragte Connie, als er ihr sagte, dass er mit der Schreibarbeit fertig sei.
Er breitete alle erforderlichen Formulare auf seinem Schreibtisch aus, einschließlich Connies eigener offizieller Aussage. Er hatte sie wie immer für sie geschrieben, was gegen die Grundsätze der Abteilung war und eine der wenigen Regeln, gegen die er je verstoßen hatte. Doch sie teilten sich die Aufgaben nach ihren Fähigkeiten und Vorlieben, und er war halt zufällig auf diesem Gebiet besser als sie. Ihre eigenen Berichte waren häufig wütend im Tonfall statt ernst und neutral, als ob jedes Verbrechen ein fürchterlicher Affront gegen sie persönlich wäre, und manchmal benutzte sie Worte wie »Arschloch« oder »Scheißkerl« statt »Verdächtiger« oder »Festgenommener«, was den Verteidiger im Gerichtssaal unter Garantie zu stürmischen Ausbrüchen über Selbstgerechtigkeit veranlassen würde.
Connie unterschrieb alle Formulare, die er ihr hinlegte, einschließlich der sauber getippten Aussage, die angeblich von ihr stammte, ohne etwas davon zu lesen. Harry gefiel das. Sie vertraute ihm.
Während er zusah, wie sie ihre Unterschrift kritzelte, beschloss er, dass sie etwas Besonderes unternehmen sollten, auch wenn seine Klamotten so verknittert und feucht waren, in eine gemütliche kleine Bar gehen, mit elegant gepolsterten Nischen, gedämpfter Beleuchtung und Kerzen auf den Tischen, mit einem Pianisten, der für Hintergrundmusik sorgte, aber nicht einer von diesen schmierigen Typen, die aus guten Liedern kitschige Salonmusik machten und alle halbe Stunde »Feelings« sangen, die Hymne der sentimentalen Betrunkenen und Schmalzköpfe in allen fünfzig Staaten.
Connie konnte nicht aufhören, sich darüber aufzuregen, dass man sie als Batwoman tituliert hatte, und über andere Beschimpfungen seitens der Medien. Deshalb hatte Harry Schwierigkeiten, einen Augenblick zu finden, in dem er eine Einladung zu einem Drink und einem Abendessen einfließen lassen konnte, wodurch er zuviel Zeit hatte, sie anzuschauen. Nicht dass sie in irgendeiner Weise weniger attraktiv aussah, je länger er sie beobachtete. Ganz im Gegenteil: Als er sich die Zeit nahm, ihr Gesicht in allen Einzelheiten zu betrachten, stellte er fest, dass sie noch attraktiver war, als er je gedacht hatte. Das Problem war nur, dass er gleichzeitig merkte, wie müde sie war: gerötete Augen mit großen dunklen Spuren der Erschöpfung darunter, blas, die Schultern unter dem Gewicht des Tages eingesunken. Ihm kamen Zweifel, ob sie Lust haben würde, einen trinken zu gehen und die Ereignisse vom Mittag noch mal aufzuwärmen. Und je mehr er sich ihrer Erschöpfung bewusst wurde, um so müder fühlte er sich selbst.
Ihre Erbitterung über die Neigung der elektronischen Nachrichtenmedien, Tragik in Unterhaltung umzuwandeln, erinnerte Harry daran, dass sie den Tag bereits
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