Drachenwacht: Roman (German Edition)
nüchtern, oder vielleicht war es auch nur Streitlust, aber er bekräftigte den Vorschlag, in den Salon zu gehen, fügte jedoch misstrauisch hinzu: »Und ich sage Ihnen, Laurence, ich erwartete bessere Erklärungen. Nein, Sie dürfen nicht verschwinden, es sei denn, Sie wollen, dass ich laut brülle. Sie können in Zeiten wie diesen nicht einen Mann auf der Straße belästigen, dann behaupten, es sei eine geheime Mission, und sich mit diesem Chinamann im Schlepptau wieder aus dem Staub machen.«
»Ich bitte um Vergebung«, mischte sich Tharkay in seinem steifsten aristokratischen Akzent ein und zog damit alle Blicke auf sich. »Ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt, Gentlemen.«
»Warum zum Teufel verkleiden Sie sich denn als Chinamann«, fragte Sutton-Leeds und spähte in Tharkays Gesicht, als erwarte er, dort einen Trick zu entdecken, der für seine Züge verantwortlich war.
Während dieser kurzen Ablenkung packte Laurence Woolvey am Arm und sagte leise und scharf: »Seien Sie kein verdammter Narr. Wenn Sie uns in Ihrem Haus gefangen nehmen, wird man Sie als Spion ansehen, verstehen Sie, und wenn die Franzosen misstrauisch sind, auch Ihre Frau. Vergessen Sie also, dass wir je hier waren und bezahlen Sie Ihr Personal ebenfalls dafür. Jeder Augenblick, den wir länger hier herumstehen, bringen wir Sie alle grundlos in Gefahr.«
Woolvey wand sich aus dem Griff und erwiderte ebenso kühl: »Dass Sie mich für einen Narren halten, weiß ich nur zu gut, aber ich bin nicht so dumm, dass ich mich auf das Wort eines verurteilten Verbrechers – ja, ich habe davon gehört – verlasse und glaube, dass Sie am Tag nach Bonapartes Einmarsch frei auf der Straße herumlaufen und nur das Beste für unseren König im Sinn haben.«
»Dann lüge ich eben und bin zu den Franzosen übergelaufen«, entgegnete Laurence ungeduldig, »und wenn Sie mir hier in die Quere kommen, kann ich Sie ebenfalls verhaften lassen. So oder so: Sie lassen mich besser gehen.«
»Ich bin kein Feigling«, sagte Woolvey, »und wenn Sie tatsächlich dunkle Geschäfte mit diesem Korsen machen, dann werde ich Sie aufhalten, und wenn ich Ihnen ein Loch in den Körper schießen muss, jawohl, und dann dafür ins Gefängnis gehe, verdammt noch mal.«
»Gentlemen«, unterbrach Edith die aufgeladene Atmosphäre, »ich bitte Sie, gehen Sie in den Salon, ehe Sie das ganze Haus aufwecken.« Und nun führte kein Weg mehr daran vorbei.
Man entledigte sich Sutton-Leeds mithilfe eines ordentlichen Glases Brandy, nach dessen Genuss er in einem Sessel vor sich hinschnarchte. Dies hatten sie Edith zu verdanken: Sie waren kaum im Salon angelangt, als sie auch schon wieder zu ihnen stieß, eilig angekleidet, und sofort mit einer Karaffe herumging und einschenkte. Aber obgleich Woolvey automatisch nach seinem Glas gegriffen hatte, warf er einen zweiten Blick darauf, stellte es wieder ab und
verkündete: »Ich hätte gerne einen Kaffee, Liebling, wenn du so nett wärst.« Seine Miene war entschlossen, und er wartete auf seine Tasse, die Arme vor der Brust verschränkt.
Laurence sah auf die Uhr: Es war beinahe elf. Während sich Bonaparte und so viele seiner Getreuen auf der Feier amüsierten, hatten sie mit Sicherheit die besten Aussichten auf Erfolg, und jede Minute war doppelt wertvoll.
Tharkay fing seinen Blick auf und sagte leise: »Er hat Pferde«, wobei er mit dem Kopf in Richtung Woolvey nickte. Eine Andeutung, die Laurence überhaupt nicht gefiel. Er sah keine bessere Alternative, aber alles in ihm sträubte sich dagegen, sein Leben, ja ihrer aller Leben in Woolveys Hände zu legen, und er vertraute nicht darauf, dass Woolveys Dienstboten nicht lauschten.
Sie standen schweigend beisammen, nur das fortwährende leise Schnaufen des schnarchenden Sutton-Leeds war zu hören. Ein Dienstmädchen brachte das Kaffeegeschirr und brauchte eine Weile, alles auf den Tisch zu stellen, während sie die Besucher verstohlen musterte.
Sie waren eine absurde Versammlung: Woolvey in seinem Abendanzug, Edith in ihrem schmucklosen Morgenkleid mit der hohen Taille, das sie ohne Korsett trug. Sie musste es aus dem Kleiderschrank gerissen und ohne Hilfe eines Dienstmädchens angezogen haben. Tharkay und er selbst in ihrer groben Arbeiterkleidung, dreckverschmiert und zweifellos nach Vieh und Hafen stinkend.
»Danke, Martha«, sagte Edith schließlich. »Ich schenke selber ein.« Sie beugte sich über den Tisch, als das Mädchen das Zimmer verlassen hatte. Dann
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