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Drachenwacht: Roman (German Edition)

Drachenwacht: Roman (German Edition)

Titel: Drachenwacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Naomi Novik
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wie der Leutnant den beiden Marineangehörigen befahl, Wache zu stehen, und wie der Hauseigentümer den ganzen Weg die Treppe hinunter weiter wehklagte.
    Es war bitterkalt. Der unebene Boden mit seinen verzogenen, knorrigen Bohlen fühlte sich sonderbar unter Laurence’ Füßen an, und halb glaubte dieser, noch immer die schaukelnden Bewegungen des Schiffes zu verspüren. Es gab ein taschentuchgroßes Quadrat als Fenster, durch das Licht und Luft hineinströmen konnten. Im Augenblick jedoch wehte nichts weiter als der Gestank dicken Rauchs hinein, und das rötliche Glühen an den Unterseiten der Dächer war alles, was er sehen konnte.
    Laurence ließ sich auf der schmalen Pritsche nieder und sah auf seine Hände. Inzwischen würde es überall an der Küste zu Kämpfen gekommen sein. Die Franzosen waren in Deal an Land gegangen, wie wahrscheinlich überall Richtung Norden entlang der Themsemündung. Keineswegs fünfhunderttausend Mann, nicht einmal annähernd so viele, aber vielleicht doch in ausreichender Zahl. Es war keine besonders große Infanterietruppe nötig, um einen sicheren Brückenkopf aufzubauen. Und dann konnte Napoleon seine Männer so rasch an Land bringen, wie er sie über den Kanal zu schaffen vermochte.
    Laurence hätte immer geschworen, dass das so schnell nicht möglich wäre, nicht, solange die Franzosen der englischen Marine gegenüberstanden. Doch nach den Manövern, die er heute zu sehen bekommen hatte, hatte sich seine Meinung geändert: Unzählige Leichtgewichte, die mühelos zu verpflegen und wendig waren, hatten entgegen allem gesunden Menschenverstand einen Triumph über die britischen Schwergewichte erlangt, während die geballte Kraft ihrer Schwergewichte gegen die Schiffe, Englands stärkstes Bollwerk, eingesetzt wurde. Dieses Vorgehen trug die gleiche taktische Handschrift wie der überzeugende Angriff, den er in der Schlacht von Jena gesehen und den damals Lien angeführt hatte. Laurence hatte keinen Zweifel, dass ihr Rat auch bei diesem neuerlichen Vorstoß Napoleon sehr zupassgekommen war.
    Laurence hatte der Admiralität gegenüber von der Schlacht bei Jena berichtet. Es war ein bitterer Gedanke, dass sein Verrat dieses Wissen untergraben und seine Berichte vermutlich in Misskredit gebracht hatte. Wenigstens Jane, so hatte er gedacht – hatte er gehofft  –, würde ihnen Glauben schenken, selbst wenn sie ihm noch nicht vergeben hatte. Sie immerhin würde ihn so weit verstehen, dass sie wusste, sein Verrat hätte mit der Lieferung des Heilmittels angefangen und auch geendet. Aber was er nun von der Schlacht gesehen hatte, hatte ihm deutlich gemacht, dass die britischen Drachen in ihren alten Formationen geflogen und an ihrer antiquierten Luftkampftaktik festgehalten hatten.
     
    Der Lärm draußen vor dem Fenster schwoll an und verebbte dann wieder wie Meereswellen. Ganz in der Nähe zerbarst Glas. Eine Frau schrie. Das Glühen wurde stärker. Laurence legte sich hin und versuchte, ein wenig zu schlafen, doch seine Ruhe wurde immer wieder durch Geräusche gestört. Sie waren mit dem allgemeinen Stimmengewirr verschmolzen, als er keuchend und entsetzt erwachte, noch Bruchstücke vom brennenden Schiff vor Augen, das in seinen Träumen unter den Flammen schwarz und glänzend wurde und sich aufbog
und barst. Unvermittelt stand Laurence auf. Es gab einen kleinen, schmutzigen Krug mit Wasser, doch er war noch nicht durstig genug, um daraus zu trinken. Stattdessen goss er etwas in die hohle Hand und benetzte damit sein Gesicht, was schwarze Streifen von Asche und Ruß auf seinen Fingern hinterließ. Dann legte er sich erneut hin; draußen verstärkte sich das Geschrei, und ein noch stärkerer Geruch von Rauch wehte herein.
    Es war nicht so, dass es heller wurde, sondern lediglich weniger dunkel. Es hing eine dicke, rußige Decke über der Stadt, und Laurence’ Kehle schmerzte heftig. Niemand brachte ihm etwas zu essen; keine seiner Wachen richtete ein Wort an ihn. Laurence lief in der Zelle auf und ab: vier lange Schritte in die eine Richtung, drei ebenso lange von der Pritsche aus in die andere Richtung. Dann verringerte er seine Schrittlänge, um sieben daraus zu machen, denn er fand keine Ruhe. Die Arme hatte er hinter seinem Rücken verschränkt, und es fühlte sich an, als würden sie von einer Kugel hinabgezogen. Fünf Stunden lang machte er ohne Pause seine Runden. Wenigstens hatte er auf diese Weise etwas zu tun – etwas anderes, als sinnlos und ohne Ergebnis vor sich

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