Drachenwacht: Roman (German Edition)
gezwungen worden. Da aber dieser erste Schritt getan war, hätte man lieber den Weg weiterverfolgt, als einen Fehler zuzugeben. Doch nun war man auf Rache aus und glaubte, dass sie von Laurence’ Verrat Kenntnis gehabt hatte.
Laurence kannte Sanderson ein wenig: Er lenkte einen Parnassianer und befehligte eine große, unabhängige Formation in Dover. Sie hatten zusammen gedient, hatten aber nicht allzu viel miteinander zu tun gehabt. Er war ein höchst erfahrener, aber nicht sonderlich brillanter Offizier, hätte Laurence über ihn gesagt. Außerdem gab es für ihn im Augenblick Wichtigeres zu tun. Auch wenn seine Animosa mehrere Male mit dem Heilmittel behandelt worden war, erholte sie sich nur sehr schleppend von den Nachwirkungen der Epidemie, die auch ihn beinahe das Leben gekostet hatte. Nächstes Jahr würde er sechzig werden, und er hatte kaum geschlafen oder Nahrung zu sich genommen, während sein Tier litt.
Nun saß er in einer Ecke des Zeltes und wischte sich gelegentlich mit einem zusammengerollten Verband über einen nässenden Schnitt über seinem Auge, sagte jedoch kein Wort, während die Generäle Jane anschrien. Er sah grau und erschöpft unter der blutrot leuchtenden Wunde auf der Stirn aus.
»Na großartig. Dann haben Sie also einen verurteilten Verräter und sein disziplinloses Tier mitten in unsere Reihen geholt«, höhnte einer der Marineoffiziere. »Sie könnten auch gleich ein Telegramm an Bonaparte schicken und ihm all unsere Pläne selbst mitteilen.«
»Verdammt noch mal, man könnte es Bonaparte überhaupt nicht mehr leichter machen als jetzt, es sei denn, Sie rennen ihm gleich mit einer weißen Fahne entgegen«, herrschte ihn Jane an. »Er hat hundert Drachen mehr, als er allen Berechnungen nach haben sollte. Sie, Gentlemen, und die Admiralität schwören hoch und heilig, dass Sie es auf jeden Fall mitbekommen hätten, wenn er Preußen und Italien bis auf die Knochen ausgesaugt hätte; also schätze ich, er muss sie sich aus dem Nichts besorgt haben. Und da wir das nicht können, müssen wir wenigstens jedes Tier ins Rennen schicken, das wir haben. Sechs Drachen sind zu schwer verwundet, als dass sie in den nächsten Monaten kämpfen könnten; vier unserer neuesten Wilddrachen haben sich wieder davongemacht, und Sie wollen einen Himmelsdrachen verrotten lassen … Das ist doch reine Idiotie.«
»Warum genau hören wir uns eigentlich dieses zeternde Fischweib an?«, fragte jemand.
»Um genau zu sein«, unterbrach ihn Jane, »hören Sie mir ja eben gerade nicht zu, obwohl Sie das besser sollten. Ich bitte um Vergebung, Sanderson, Sie sind ein verflucht guter Formationsführer, aber Sie sind hierfür einfach nicht der richtige Mann.«
»Nein, überhaupt nicht, Roland«, stimmte Sanderson trübselig zu und tupfte sich mit dem Stoff die Stirn ab.
»Wir hören ihr zu, weil Sie keinen fähigen Mann für diesen Posten auftreiben konnten«, tönte ein anderer General ungeduldig aus den hinteren Reihen. Es war ein Mann mit einem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht und einer Adlernase, der den Orden von Bath trug. »Wir werden Bonaparte nicht schlagen, indem wir das Übel von gestern verleugnen.«
»Portland …«, setzte ein anderer an.
»Hören Sie auf, den Namen des Mannes zu blöken, als würde das
allein schon Glück verheißen«, herrschte ihn der General an. »Wenn es nicht Nelson ist, dann ist es Portland. Gibraltar ist nicht besser als Dänemark: Für beide braucht man mindestens einen ganzen Monat, um sie herbeizuschaffen. Bis dahin lassen Sie die Admiralin gefälligst in Ruhe.«
»General Wellesley, Sie können nicht ernstlich der Idee das Wort reden …«, begann ein Minister und machte eine Geste in Laurence’ Richtung.
»Vielen Dank. Ich bin sehr wohl in der Lage, selbst zu entscheiden, wofür ich mich einsetze, ohne irgendjemanden vorher um Erlaubnis zu bitten«, sagte Wellesley. Er ließ einen kühlen, abschätzenden Blick über Laurence streifen. »Er ist ein sentimentaler Bursche, nicht wahr? Sich selbst auszuliefern … Verflucht romantisch. Was macht es schon für einen Unterschied? Sie können ihn doch hinterher hängen.«
Jane brachte ihn zu ihrem Zelt. »Nein, Sie bleiben besser anwesend, Frette«, sagte sie zu ihrem Adjutanten, der sich erhoben hatte, als sie eintrat. »Ich rede lieber offen unter den Ohren eines Zeugen, als weitere Gerüchte zu riskieren.«
Sie goss sich ein Glas Wein ein und trank; sie stand dabei mit dem Rücken zu Laurence. Dieser
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