Drachenwacht: Roman (German Edition)
dass sich hier nicht zufällig Befürworter seiner eigenen Tat zusammengefunden hatten, sondern dass sie vom Rest der Offiziere getrennt saßen, eben weil sie deswegen in Streit geraten waren.
»Mord, heimtückischster Mord, ein anderes Wort gibt es dafür nicht«, verkündete Reynolds, umschloss Laurence’ Hand mit seiner
eigenen, drückte sie am Handgelenk auf den Tisch und sah ihn mit dem konzentrierten, zu ernsthaften Ausdruck eines betrunkenen Mannes an. Laurence wusste nicht, was er sagen sollte. Er war der gleichen Meinung gewesen und hatte sein Leben dafür aufs Spiel gesetzt, dieses Verbrechen zu verhindern, aber es lag ihm nichts daran, sich dafür von einem Fremden beglückwünschen zu lassen.
»Verrat ist ein anderes Wort, wenn Sie gestatten«, mischte sich ein anderer Offizier ein, der an einem voll besetzten Tisch neben ihnen saß und keinerlei Anstalten machte zu vertuschen, dass er sie belauscht hatte. Eine Flasche Whisky stand, zur Hälfte geleert, vor ihm, und er trank allein.
»Hört, hört«, rief ein anderer Mann.
Es gab definitiv zu viele Flaschen und zu viele zornige, enttäuschte Männer im Zelt. Dies war geradezu eine Einladung für einen Eklat. Laurence löste seine Hand. Zu gerne hätte er sich entschuldigt und an einen anderen Tisch gesetzt, aber Frette hatte ihn Prewitt und seiner bereitwilligen Gesellschaft übergegeben, und Laurence hatte keine Ahnung, wem sonst im Zelt er seine Anwesenheit zumuten konnte. »Ich bitte Sie, Gentlemen, nicht über diese Angelegenheit zu sprechen«, sagte er leise zu den Männern an seinem Tisch, doch er bewirkte nichts. Reynolds hatte sich bereits auf ein Wortgefecht mit dem Whiskytrinker eingelassen, und ihre Stimmen waren laut und durchdringend.
Laurence biss die Zähne zusammen und versuchte, nicht zuzuhören. »Und ich bin der Meinung«, stieß der Whiskytrinker hervor, »dass er ein Verräter ist, den man nach draußen schleifen, aufknüpfen, hängen und vierteilen sollte, und Sie gleich mit dazu, wenn Sie etwas anderes behaupten …«
»Altmodische Gefühlsduselei …« Mittlerweile hatten sich beide erhoben, nachdem Reynolds Gounods Hand abgeschüttelt hatte, mit der er ihn halbherzig am Aufspringen hatte hindern wollen. Ihre Stimmen waren so laut geworden, dass alle Gespräche in der Nähe verstummt waren.
Nun stand auch Laurence auf und packte Reynolds entschlossen an den Schultern, um ihn zurück auf seinen Stuhl zu drücken. »Sir, Sie tun mir keinen Gefallen, hören Sie auf damit«, sagte er leise und in scharfem Tonfall.
»So ist es richtig. Lassen Sie sich von ihm beibringen, wie sich ein Feigling verhält«, höhnte der andere Mann.
Laurence erstarrte. Er konnte sich nicht gegen Vorwürfe zur Wehr setzen, die er verdient hatte, und er hatte das Recht verwirkt, sich gegen die Anklage, ein Verräter zu sein, zu verwahren. Aber die Bezeichnung Feigling war ein Schlag, den er nicht hinnehmen konnte. Doch selbst wenn es Fliegern nicht verboten gewesen wäre, sich zu duellieren, dann hätte er gewiss keine Herausforderung aussprechen können. Er hatte genug Schaden angerichtet. Er konnte es nicht – er würde es nicht! – noch weiter treiben. So schloss er den Mund und versuchte, die Bitterkeit in seiner Kehle hinunterzuschlucken, und drehte sich nicht um, um dem Mann ins Gesicht zu schauen, obschon dieser so herausfordernd nahe stand, dass sein alkoholgeschwängerter Atem Laurence heiß und durchdringend über die Schulter wehte.
»Sie nennen ihn einen Feigling, wo Sie selber dagesessen und nichts getan haben«, gab Reynolds zurück und wehrte sich gegen Laurence’ Versuche, ihn zurückzuhalten, indem er seine Hand abschüttelte oder es zumindest versuchte. »Ich schätze, Ihr Drache dürfte eine sehr hohe Meinung von Ihnen haben, wenn Sie ungerührt zusehen, wie Tausende seiner Art vernichtet werden, vergiftet oder so gut wie, als wären es Hunde …«
»Wenigstens einen seiner Art sollte man vergiften«, sagte der andere Mann, und Laurence ließ Reynolds los, drehte sich um und schlug den Mann nieder.
Der Mann war betrunken und unsicher auf den Beinen gewesen, und als er zu Boden ging, riss er den Tisch und die Flasche mit. Billiger Alkohol floss heraus und verteilte sich im Staub, während die Flasche davonrollte. Einen Augenblick lang sprach niemand, dann
wurden überall im Zelt die Stühle zurückgeschoben, als wenn jeder nur auf einen Vorwand gewartet hätte. Sofort wurde aus dem Streit ein wüstes Handgemenge, in dem
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