Drachenwacht: Roman (German Edition)
hatten.
»Wenn wir nur herausfinden könnten, wie man sie vernünftig zum Gleiten bringt, dann gäbe es keinen Grund, warum ihr die Kanone nicht mit in die Luft nehmen solltet«, sagte sie an diesem Abend sehnsüchtig. Mir ihrem wiederhergestellten Selbstbewusstsein war sie zu Temeraire gekommen, um ihn in eine Diskussion zu verstricken. Sie hätte mit Freuden weiter herumgetüftelt, aber inzwischen hatten sich die Männer so weit an sie gewöhnt, dass die letzten Anflüge von Furcht durch ihre Müdigkeit niedergekämpft wurden. Und so hatten sie aufbegehrt und verlangt, dass man sie essen und schlafen lassen sollte. »Wenigstens Requiescat könnte sie tragen. Man könnte sie auf seinem Rücken befördern, aber eine Lösung für den Rückstoß zu finden, das ist die eigentliche Schwierigkeit.«
»Die Schwierigkeit ist herauszufinden, was wir jetzt tun sollen«, unterbrach Temeraire sie und beugte seinen Kopf über die Neuigkeiten, die Moncey zusammengetragen hatte und die in Karten eingeritzt worden waren. Er fragte sich, wie sie in Erfahrung bringen könnten, was die Franzosen als Nächstes vorhatten, und wie schnell er sie zu einer weiteren Schlacht verleiten könnte.
6
»Sir«, begann Hollin, »ich mache Sie nur ungern darauf aufmerksam, aber wenn er schon so lange verschwunden ist und sich so weit vom Zuchtgehege entfernt hat, dann ist die Gefahr groß, dass er nicht ziellos umherfliegt, sondern sich auf die Suche nach Ihnen gemacht hat.«
»Ich weiß«, antwortete Laurence.
Wenn Temeraire Richtung Dover aufgebrochen war, dann war er Napoleons Besatzungsarmee genau in die Arme geflogen. Und Laurence konnte ihm nicht folgen. Janes einzige Rechtfertigung dafür, ihn überhaupt aus dem Gefängnis zu befreien, lag darin, dass Temeraire dann eben gerade nicht den Franzosen in die Hände geriete. Mittlerweile war er schon vier Tage überfällig, wenn man großzügig rechnete drei, und ihre Abwesenheit im Lager würde gerade dann auf Jane zurückfallen, wenn sie alle Kräfte auf ihrer Seite brauchte, um sich gegen Napoleons unvermeidlichen Marsch auf London zu wappnen.
Er wusste, was die Pflicht von ihm verlangte: Er müsste zurückkehren und über sein Versagen Bericht erstatten, um dann abzuwarten, bis endlich eine Nachricht vom Verbleib Temeraires einträfe. Endlos im Gefängnis zu sitzen, ohne genau zu wissen, wie es Temeraire ergangen war – Laurence konnte sich nicht vorstellen, wie er das ertragen sollte. Aber es gab keine Alternative. Vermutlich hatte er bereits der Karriere von Hollin Schaden zugefügt, wenn nicht schon zuvor der bloße Umgang mit ihm Schandfleck genug gewesen war, genauso wie er Jane, Ferris und so vielen anderen geschadet hatte. Als wenn er nicht schon genug Unheil angerichtet hätte.
»Wir könnten auch noch einmal aufbrechen«, schlug Hollin vor,
»und uns zurück zur Armee durchschlagen, Sir. Unterwegs fragen wir, ob irgendjemand etwas von den Franzosen gehört hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch die Generäle dies erfahren wollen.«
Laurence wusste, dass er das ablehnen sollte. Es war ein großzügiges Angebot, das Hollins freundschaftlichen Gefühlen ihm gegenüber entsprungen war und nicht seiner ernsthaften und durchdachten Einschätzung der Lage. »Danke, Hollin; wenn Sie denken, dass es richtig so ist«, sagte er schließlich. Er hatte den inneren Kampf verloren oder doch zumindest Boden preisgegeben. »Aber wir sollten geradewegs ins Lager zurückkehren«, fügte er hinzu, um wieder etwas gutzumachen. Er versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass Temeraire vielleicht irgendwie von den zusammengezogenen Truppen gehört und sich dorthin auf den Weg gemacht hatte. Konnte doch sein, dass er sie bei ihrer Rückkehr in Woolwich erwartete – aber nein, das war vielleicht doch zu optimistisch.
Temeraire würde nirgendwo herumsitzen und warten , wenn er wüsste, wo sich Laurence befand, und vermutlich selbst dann aufbrechen, wenn er nicht die geringste Ahnung hätte. Er war durch halb Afrika geflogen, ohne einen Anhaltspunkt bezüglich seines Aufenthaltsortes zu haben, und hatte Laurence in der Mitte eines unbekannten Kontinents ausfindig gemacht. Er würde sich auf keinen Fall von der Vorstellung abschrecken lassen, ganz England nach ihm abzusuchen, wenn es sein musste, selbst wenn um ihn herum der Krieg tobte; und es war mehr als wahrscheinlich, dass er sich dabei verletzte.
Sie flogen mit vielen Unterbrechungen, machten bei allen Höfen halt, die eine
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