Drachenwacht: Roman (German Edition)
die Hinterbeine. Er war sich nicht sicher, was er darauf entgegnen sollte. »Das tut mir leid«, sagte er zögernd und unsicher. Er nahm an, dass es sehr unangenehm war, ein Feigling zu sein. Aber er hatte immer geglaubt, Feiglinge seien armselige Kreaturen, die zu wirklich unschönen Dingen fähig wären, wie zum Beispiel fremde Sachen zu stehlen, obwohl sie wussten, dass sie sich im Kampf um sie nie würden behaupten können. Und von diesem Schlag war Perscitia ganz und gar nicht. »Du gehst doch keinem Streit mit irgendjemandem aus dem Weg.«
»Das ist nicht das Gleiche«, versuchte sie zu erklären. »Man wird nicht erschossen, wenn man sich zankt, oder erleidet einen zerfetzten Flügel oder bekommt eine Kanonenkugel in die Brust. Ich habe einmal einen Drachen gesehen, der von einem Geschoss getroffen worden ist, und das war ganz entsetzlich.«
»Natürlich«, bekräftigte Temeraire, »aber man muss nur schnell genug sein, dann kann man ihnen ausweichen.«
»Das ist Unsinn«, sagte sie. »Ein Musketengeschoss ist viel schneller als jeder Drache, und so wird alles vom Zufall entschieden, ehe man noch daran denken kann, der Sache aus dem Weg zu gehen, oder es überhaupt bemerkt, dass jemand auf einen zielt. Wenn man natürlich sehr wendig ist, dann ist man wieder verschwunden, ehe sie häufiger schießen können«, fügte sie hinzu, »sodass die Chancen größer sind, aber am besten sind sie, wenn man überhaupt nicht vor einer Kanonenmündung auftaucht. Und ich bin nicht sehr schnell.«
Temeraire rieb sich mit der Seite einer seiner Klauen über die Stirn und überlegte. »In China«, begann er, »kämpfen ohnehin nur bestimmte Drachen. Viele andere sind Gelehrte und wüssten gar nicht, wie sie sich in einer Schlacht verhalten sollten. Niemand schätzt sie gering oder nennt sie Feiglinge. Ich glaube, du bist auch eine Gelehrte.«
Perscitia hob den Kopf, und Temeraire fügte hinzu: »Und überhaupt: Wir anderen sind ganz zufrieden damit zu kämpfen, also macht es gar keinen Sinn, dass du es auch tust, obwohl es dir zuwider ist.«
»Ja, genau das denke ich auch«, sagte sie und begann zu strahlen. »Ich will nur nicht, dass alle anderen sagen, ich würde nicht auch meinen Teil zum Erfolg beitragen. Dabei gibt es für sie keinen anderen Teil als das Kämpfen.«
»Wir müssen herausfinden, wie wir von dieser Kanone Gebrauch machen können«, sagte Temeraire. »Das wäre wirklich sehr nützlich. Vielleicht kannst du dir überlegen, was wir damit tun können, und uns so beim Kampf unterstützen. Das wäre ein großer Beitrag zum Erfolg, denn schließlich weiß niemand sonst, was wir damit anfangen sollen.«
Diese Lösung gefiel Perscitia so gut, dass sie am Ende des Tages ein Dutzend Männer dazu verpflichtet hatte, sich als Geschützmannschaft zu verdingen. Diese Hilfe und etwa dreißig andere Männer entstammten der örtlichen Miliz, die am Morgen ziemlich nervös mit ihren Musketen auf dem Schlachtfeld erschienen war, um zu sehen, was während der Nacht geschehen war. Die vergnügt flatternden Banner hatten sie dazu bewogen, nahe genug heranzukommen, um von Lloyd und seinen Männern mit fröhlicher Unbarmherzigkeit in den Dienst gepresst zu werden, denn sie waren es leid, beinahe sechzig Drachen zur Hand zu gehen und gleichzeitig als Hirten tätig zu sein.
Man beschwor die Männer, sich nicht so gehen zu lassen, als sie zitternd vor Angst vor Perscitia flohen. Mit großem Getöse belehrte Lloyd sie, dass man Bonaparte Einhalt gebieten müsse, woraufhin sie sich dem Drachen auf Gedeih und Verderb anvertrauten. Den Tag verbrachten sie damit, sich mit der Funktionsweise der Kanone vertraut zu machen, dem Reinigen und Stopfen – lauter Schritten, die Perscitia zusammengefügt hatte, indem sie erst die Männer befragte, wie sie ihre Musketen bedienten, und dann jeden Drachen, der einst an Bord eines Schiffes oder bei einem Flottenmanöver gedient und gesehen hatte, wie man die großen Kanonen handhabte.
Er war recht schwierig gewesen: Jeder erinnerte sich ein wenig anders an den genauen Ablauf, und Perscitia kam an den Punkt, an
dem es nicht mehr weiterzugehen schien. Dann kam ihr die Idee, eine Liste anzulegen, welcher Befehle sich jeder entsinnen konnte, und sie fügte die häufigsten zusammen. Am Abend gelang es ihnen schließlich, mit lautem Knall die erste Kugel durchs Lager zu feuern, womit sie alle Drachen aufschreckten, die befriedigt und den Magen voller Schweinefleisch ein Schläfchen gehalten
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