Drachenwacht: Roman (German Edition)
Befehlshaber sprechen.«
»Ich bin der Befehlshaber«, sagte Temeraire.
Laurence befand sich noch immer innerhalb der schützenden Drachenumarmung, hob aber nun den Kopf und sah den ernsthaften Ausdruck auf Temeraires Gesicht. Dann zog er sich selbst an Temeraires Vorderbein empor und ließ nun aufmerksamer den Blick über die Lichtung schweifen. Nirgends war einer der Senioroffiziere zu entdecken, und keiner der Drachen, von denen ihn viele mit ebensolcher Neugierde beäugten, war angeschirrt. Unter ihnen befanden sich nicht nur der riesige Königskupfer, sondern auch ein alter Langflügler, der träge herumlag und die milchig orangefarbenen Augen halb geschlossen hatte, ein großer Bunter Greifer, ein Parnassianer und überall verstreut Drachen von geringerer Größe.
Hinter ihnen konnte Laurence das Lager erblicken, das ebenfalls voller Drachen war: Dutzende Gelbe Schnitter schliefen beinahe in einem einzigen Haufen, und kleinere Drachen und Leichtgewichte hatten es sich auf ihnen gemütlich gemacht. Es gab eine Handvoll Männer, die sich um die Schweine und einige Kühe kümmerten, welche auf einer Seite des Lagers eingepfercht waren, aber sie trugen
einfache, robuste Kleidung, nicht die Uniformen der Offiziere des Korps. Einige wenige hundert andere in roten Röcken, die so verblasst waren, dass sie eher rostbraun aussahen, standen bei den Kanonen. Dann gab es noch einige Freiwillige in Zivilkleidung, das war alles. »Eine Miliz«, sagte Laurence langsam.
»Ja. Lloyd und einige der Hirten haben uns gesagt, wir sollten sie zusammentrommeln«, erklärte Temeraire. »Das sind wirklich gute Burschen, jedenfalls jetzt, wo sie sich eingewöhnt haben und darauf vertrauen, dass wir sie nicht auffressen. Wir brauchen sie, um unsere Kanonen zu bedienen.«
»Gütiger Gott«, stieß Laurence aus, dem mit einem Schlag alles klar war. Er konnte sich nur zu gut in den lebendigsten Farben ausmalen, wie die Lords der Admiralität auf die Nachricht reagieren würden, dass die wohlorganisierte, ordentliche Miliz, die sie vertrauensvoll erwarteten, mit einem fähigen Offizier an der Spitze, eher eine wagemutige und vollkommen unabhängige Legion unangeschirrter Drachen war, die den Lordschaften keine große Sympathie entgegenbrachten und die unter dem persönlichen Kommando des widerspenstigsten Drachens in ganz England standen.
»Nun«, sagte Temeraire zu Miller, nachdem er sich Laurence’ ungeschickten Versuch, die Befehle, die sie hierhergeführt hatten, und das vorliegende Missverständnis zu erläutern, angehört hatte. »Mir kommt das überhaupt nicht kompliziert vor. Man hat Ihnen doch wohl nicht gesagt, dass Sie das Patent nur dann übergeben dürfen, wenn der Befehlshaber ein Mensch ist, oder?«, fragte er und streckte seinen Kopf bis kurz vor Millers Gesicht.
»Nun ja, nein… nicht…«, begann Miller und starrte ihn an, »aber…«
»Dann ist doch alles völlig klar«, schnitt ihm Temeraire jedes weitere Wort ab. »Ich sollte ihnen schreiben und mitteilen, dass ich das Patent mit Freuden annehme. Dann werde ich mich entschuldigen, dass meine Verpflichtungen gegenüber dem Regiment mich augenblicklich davon abhalten, mit Laurence zusammen zurückzukehren.
Darüber können sie sich nicht beschweren. Auf jeden Fall muss ich sofort eine Nachricht schicken, um sie zu warnen: Napoleon wird London in zwei Tagen angreifen.«
Eine sensationellere Nachricht, um alle Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken, hätte er kaum vorbringen können. Laurence wusste zunächst nicht, was er davon halten sollte: Vielleicht war Temeraires Vorstellung von Entfernungen einfach die eines Drachen und bezog nicht die natürlichen Schwierigkeiten mit ein, die es bedeutete, so viele Männer, Pferde und Proviant vom feindlichen Ufer, wo sie an Land gegangen waren, zum Kampfschauplatz zu transportieren. Es war kaum eine Woche vergangen, seitdem die Franzosen an der Kanalküste gelandet waren. Wenn Napoleon auf keinerlei Gegenwehr gestoßen war, dann hätte er vielleicht in dieser kurzen Zeit mit seinen Männern in geordneten Reihen bis zur Stadt marschieren können, aber als kampfbereite Armee war das keineswegs möglich, da war sich Laurence völlig sicher. Wenigstens wünschte er, er könnte ganz sicher sein, denn er erinnerte sich nur zu gut an das Donnern der Kanonen vor Warschau, mehr als einen Monat früher, als die Franzosen dort überhaupt hätten eintreffen sollen, und leichte Zweifel regten sich. »Weißt du das mit
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