Drachenwacht: Roman (German Edition)
sehen, dass ihr zu langsam werdet. Wie du siehst, fliegen sie bereits in Schichten.«
»Ja, vermutlich«, sagte Temeraire niedergeschlagen, »es ist nur schwer genug, etwas zu erreichen, auch wenn wir alle dabei sind. Wir haben nicht einen einzigen Adler oder auch nur eine Kanone an uns gebracht. Da war nur die eine, die Majestatis zerstört hat«, fügte er hinzu, »aber das ist nicht genauso gut.«
»Ihr habt doch schon so viel erreicht. Ihr habt die rechte Flanke aufgerieben, und im Laufe des Tages wird sich dieser Vorteil für unsere eigene Infanterie immer mehr bemerkbar machen«, tröstete ihn Laurence. »Du kannst keinen schnellen Sieg erwarten; erinnere dich nur daran, wie lange die Schlacht in Jena gedauert hat.«
Ein noch größeres Unterfangen war es, ihn selbst dazu zu bringen, sich ein wenig auszuruhen; er ließ sich nicht dazu bewegen, bis Laurence als letzen Ausweg darauf hinwies: »Wenn du nicht schläfst, wirst du immer müder; und wenn dann im letzten Augenblick Lien auftaucht…«
»Oh!«, stieß Temeraire aus, »das würde ihr ganz ähnlich sehen. Ich schätze wohl, mir bleibt nichts anderes übrig.« Dann rief er: »Ballista, du musst übernehmen, damit ich zurückfliegen und mich ein bisschen ausruhen kann, für den Fall, dass Lien später angeschlichen kommt. Ich frage mich, wo sie sich versteckt«, fügte er mit düsterer Stimme hinzu und reckte den Kopf, um bis zu den rückwärtigen Reihen der französischen Linien blicken zu können, die hinter der Flussbiegung versteckt waren.
Der Himmel war klar, und auch wenn die Sonne nicht wärmte, so waren ihre Strahlen doch hell und leuchtend. Liens rote Augen und ihre empfindliche, weiße Haut würden unter diesen Bedingungen sehr leiden, und wahrscheinlich, so nahm Laurence an, würde sie gar nicht auftauchen, solange die Lage nicht wirklich verzweifelt war. Aber auch wenn er seine Andeutungen nur vorgeschoben hatte, so
war er doch entschuldigt, als sich herausstellte, wie schlimm sonst die Konsequenzen gewesen wären. Temeraire döste vor sich hin, während sie zurück zur Lichtung flogen, und machte sich dort mit einem Bärenhunger über ein totes Pferd her, das – noch immer mit dem Kavalleriesattel – für ihn bereitgehalten wurde.
Danach schloss er die Augen und war sofort eingeschlafen. Laurence kletterte vom Rücken, um sich ein bisschen die Beine zu vertreten. In der Zwischenzeit konnten Fellowes und Blythe die abgespeckte Version der Form des Geschirrs überprüfen, während er selbst um Temeraire herumlief und sich einen Überblick darüber verschaffte, welche Verletzungen sein Drache davongetragen hatte. Da waren die beiden Messer, die Emily nun langsam und vorsichtig herauszog, sodass frisches Blut zu Boden tropfte. Die übrigen Stichwunden waren inzwischen immerhin verschorft, aber es gab ein gutes halbes Dutzend Wunden von Musketengeschossen. Die Kugeln waren in das Fleisch an Temeraires Flanken eingedrungen, und mit Entsetzen bemerkte Laurence, dass sich in der Nähe einer solchen Verletzung eine rote Erhebung gebildet hatte, die er zuvor nicht gesehen hatte, wo eine frühere Kugel nicht entfernt worden war.
»Sipho«, sagte Laurence, »suchen Sie Mr. Keynes, den kennen Sie doch, oder? Gut, machen Sie ihn oder Dorset ausfindig und bringen Sie sie sofort hierher, und sie sollen ihre Arbeitsbestecke mitbringen.« Er zog ein Fass zu sich heran und kletterte darauf, um seine Hand auf die alte Wunde legen zu können. Sie fühlte sich heiß und geschwollen an, dachte er, aber vielleicht war es auch einfach nur die Hitze des Gefechts, die nun, wo Temeraire lag, von seinen Muskeln ausging.
»Infektion«, erklärte Dorset bestimmt, kaum dass er sich die Stelle durch seine Brille hindurch angesehen und mit den Fingerspitzen befühlt hatte. »Meine Lanzette, bitte, und halten Sie die Zange bereit«, sagte er an Sipho gewandt. Dann setzte er zu einem tiefen Schnitt durch die Beule an und durchtrennte eine Schicht von Schuppen und Fett. Ein Schwall von weißer und gelber Flüssigkeit strömte heraus
und verbreitete einen entsetzlich stechenden Gestank, sodass Laurence den Kopf abwenden musste. Dorset ließ keine Sekunde verstreichen, sondern packte die Zange und stieß sie tief ins Fleisch. Als er sie wieder herauszog, brachte sie das Musketengeschoss zum Vorschein, schwarz und nass und glänzend. In ebendiesem Augenblick erwachte Temeraire mit einem Brüllen, das die Bäume erschütterte, und als er zusammenzuckte, warf er Dorset,
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