Drachenwächter - Die Prophezeiung
Rücken.
Sie befanden sich in der Weiten Steppe. Hier waren die Tage schier endlos und die Nächte schwarz und kalt. Im Sommer brannte die Sonne ihre Hitze in den kargen Boden, weil es keine Berge gab, die Wolken entstehen ließen, aber in der kalten Zeit hatte sie kaum wärmende Kraft. Nun war es Herbst, und selbst am Tage sammelte sich keine Wärme mehr in dem sandigen, braunen Untergrund.
Ark erhob sich, zog seinen Mantel an und stieg über den schlafenden Hem hinweg auf den Kutschbock, setzte sich neben Erima.
Sie bedachte ihren Mann mit einem müden Blick. »Du kannst noch weiterschlafen.«
»Ich habe genügend geruht. Hat die Kolonne einmal gehalten, seitdem wir die Drei Dörfer verlassen haben?«
»Ja, aber nur für wenige Stunden. Den Rest der Nacht und den größten Teil des Tages sind wir weitergezogen.«
»Dann sollten wir inzwischen in Sicherheit sein.«
Ark küsste seine Frau und sprang vom Kutschbock. Er ging die Kolonne entlang. Auf dem vordersten Wagen fand er Seld. Sein Freund saß zusammengesunken auf dem Kutschbock, die Zügel in verkrampften Händen, den Blick starr nach vorn auf den leeren Horizont gerichtet.
Ark stieg zu Seld hinauf. Erst nach einigen Augenblicken reagierte der Vorsteher und warf Ark einen Seitenblick zu, murmelte eine Begrüßung. Hinter Seld schliefen einige Hequiser auf der Pritsche des Wagens.
»Hast du geschlafen, seitdem wir die Drei Dörfer verlassen haben?«
»Wir müssen erst in die Nähe der Drachen kommen. Jederzeit könnte ein Dämon angreifen.«
»Du solltest dich jetzt hinlegen.« Ark streckte seine recht Hand aus, um nach den Zügeln zu fassen.
»Das werde ich nicht!«, schrie Seld und zerrte die Zügel zur Seite. Die Schlafenden auf der Pritsche rührten sich. In Selds Augen stand eine übernächtigte Wut. Dann blinzelte er, als erwache er aus einem Traum. »Ich ... vergib mir.« Er reichte Ark die Zügel, der nur nickte, dann stieg Seld nach hinten auf die Pritsche und hüllte sich in eine Decke ein.
Seld hatte während seiner Zeit als Händler oft die Weite Steppe durchquert, und es war eine Reise, die ihn jedes Mal aufs neue fasziniert hatte. Hier schienen die Tage länger zu dauern als an jedem anderen Ort in Derod. Zu langsam wanderte die Sonne am Morgen über den Horizont, zu früh am Tage stachen ihre Strahlen in die Augen. Zu lange dauerte die blendende Helligkeit des Mittags, und zu spät senkte die Nacht sich herab, die dann eine bittere Kälte brachte, die niemals zu enden schien.
Von den Drei Dörfern bis zum jenseitigen Rand der Steppe war man zwanzig Tage und Nächte unterwegs, doch mit den vielen Wagen sollten die Hequiser sicher einige Tage länger benötigen. Der Boden war mit feinem, braunem Sand bedeckt, der bei jedem Schritt aufwirbelte. Sobald Wind aufkam, musste man sein Gesicht mit einem Tuch bedecken, um den Sand nicht einzuatmen. Viele Menschen waren in den Sandstürmen der Steppe erstickt. Beim Nordostland war die Steppe noch hügelig, doch je weiter man sich nach Süden oder Westen bewegte, umso flacher wurde sie. Am Westrand schließlich wurde sie von der Nadelschlucht begrenzt, die sich quer durch die Steppe zog und nur an einer Stelle passierbar war oder ganz umgangen werden musste. Nur an einem Ort in der Steppe lebten Menschen, nämlich in Ovin.
Der Name Ovin bedeutete »Stadt des Wassers«. Vor vielen hundert Jahren, lange nach der großen Schlacht der Drachen gegen die Dämonen, hatte sich eine Gemeinschaft von über einhundert Menschen auf den Weg in das Dorf jenseits der Weiten Steppe gemacht, aus dem später die Drei Dörfer werden sollten. Doch die Gemeinschaft verirrte sich in einem zwei Tage und Nächte währenden Staubsturm, aus dem die Gemeinschaft zu entfliehen versuchte, dabei aber immer weiter vom ursprünglichen Weg abkam. Als schon die Hälfte der Leute verdurstet war, legte sich der Staub endlich, und die Gemeinschaft sah vor sich einen kreisrunden See voll süßen Wassers, inmitten der Weiten Steppe. Sie ließen sich dort nieder, und das war der Ursprung von Ovin. Fortan zogen alle, die die Weite Steppe bereisten, durch Ovin, um dort zu rasten und die Gastfreundschaft der Oviner in Anspruch zu nehmen. Und diese hießen alle Durchreisenden willkommen, denn im Austausch gegen das Wasser erhielten sie Lebensmittel.
Egal, wie warm es im Sommer wurde – niemals sank der Wasserspiegel des Sees, und immerzu war das Wasser so klar wie die Flüsse, die den Tiefen der Koan-Berge entsprangen. Einige Deroder
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