Drachenwege
»Der Name gefällt mir. Und jetzt musst du dich von Cristov und Tarik verabschieden, das Essen steht schon auf dem Tisch.«
»Natürlich, Ma'am. Das verstehe ich«, gab Kindan zurück, wobei er seine besten Harfnermanieren de-monstrierte. »Ich hätte ohnehin nicht mehr bleiben können, denn Kisk scheint sich zu langweilen.«
Er hatte Recht. Der Wachwher zerrte ungeduldig an dem Strick. Aber zu Kindans Verdruss zeigte er keinerlei Neigung, seinen Stall aufzusuchen. Sie wanderten durch die Nacht, bis Kindan sich einbildete, am Horizont zöge bereits die Morgendämmerung herauf. Erst dann fing Kisk an zu gähnen und wollte sich auf dem Boden in eine Schlafposition zusammenrollen. Kindan musste all seine Überzeugungskraft aufbieten, um den Wher in den Schuppen zurückzulocken. Und ehe der Hahn zum ersten Mal krähte, waren Mensch und Tier fest eingeschlafen.
Kapitel 9
Kleiner Wachwher, Verlass dein Nest; Komm her zu mir, Ich halt dich fest.
Ich geb's auf!«, erklärte Meister Zist und lehnte sich zurück. »Ich habe alles gelesen, was Tarri mir aus Crom mitbrachte, und wir sind immer noch nicht klüger geworden. Nahezu alles, was wir über Wachwhere wissen, haben wir während der vergangenen drei Monate lediglich durch den Umgang mit unserer stets hungrigen Freundin hier selbst herausgefunden.«
Kindan, Zenor und Nuella nickten.
»Ein Wachwher ist intelligenter als eine Feuerechse«, warf Zenor ein. Ein Mitglied von Tarris Handelskarawane besaß eine Feuerechse, und als die Händler das letzte Mal in Camp Natalon Station machten, hatte sich Zenor ausgiebig mit dem Tier befasst.
»Auf jeden Fall spürt Kisk, ob ich traurig oder glücklich bin«, sagte Kindan. Seine Stimme überschlug sich und endete mit einem Kiekser, was ihm ein Grinsen von Zenor einbrachte. Wütend funkelte Kindan seinen Freund an. Er befand sich im Stimmbruch, und wenn er nicht in einem unsicheren Bass grummelte, dann schraubten sich die Töne unkontrolliert in die Höhe.
Doch dann fiel Kindan ein, wie er früher die älteren Jungen gnadenlos gehänselt hatte, wenn deren Stimme brach.
»Es wäre gut, wenn sie verstünde, wann du müde bist und deinen Schlaf brauchst«, meinte Nuella.
»Das ist nicht das vordringlichste Problem«, winkte Meister Zist ab. »Kindan ist zwölf Planetenumläufe alt, und wenn er erst erwachsen ist, macht ihm der Schlafmangel nichts mehr aus. Er wird sich Kisks Tag- und Nachtrhythmus anpassen.«
Zenor, der in den letzten Monaten ordentlich in die Höhe geschossen war, nickte weise. »Wenn man so schnell wächst wie ich, verursacht das mitunter sogar Schmerzen. Aber dann braucht man tatsächlich nicht mehr so viel Schlaf.«
Zenor hatte Nuella aufgezogen, als er anfing, sie zu überragen, doch auf diese Sticheleien war sie nicht eingegangen. Als Kisk jedoch so groß wurde, dass ihre Köpfe sich auf gleicher Höhe befanden, hatte sich bei dem Mädchen Besorgnis geregt.
»Ich nenne das ausgleichende Gerechtigkeit«, hatte Zenor mit seiner neuen tiefen Stimme gescherzt. »Eine lange Zeit warst du größer als ich, Nuella, und jetzt habe ich dich nicht nur eingeholt, sondern dich sogar noch übertroffen.«
Kindan, der immer noch kleiner war als das Mädchen, verhielt sich ganz still. Wenn er nicht bald einen kräftigen Schub bekam, würde er mit Kisk auf derselben Schulterhöhe sein.
Der Wachwher maß bis zur Schulter zwölf Handspannen, und beinahe vierzig Handspannen von der Schnauze bis zur Schwanzspitze. Er war schon fast so groß wie eines dieser massigen Zugtiere, die man vor die Wagen der Karawane spannte.
»Sie hat ordentlich Fleisch angesetzt«, fand Meister Zist und tätschelte Kisks Hals. Die gut entwickelten Muskeln spannten sich unter der Haut und zeugten von beträchtlicher Kraft. »Ich glaube, in ungefähr zwei Monaten wird sie ausgewachsen sein.«
»Wächst ein Wher eigentlich schneller als ein Dra-
che?«, erkundigte sich Kindan.
»Hmm, es gibt nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden«, erwiderte Meister Zist. Er stand auf. »Kindan, wir passen auf Kisk auf, und du läufst schnell zum Ausguck. Benachrichtige M'tal, denn er wird sich sicher gern davon überzeugen wollen, was aus deinem Wachwher geworden ist.«
»Du willst einen Drachenreiter einladen?«, staunte Nuella.
»M'tal und ich sind alte Freunde«, erklärte der Harfner.
»Aber Telgar hat doch ausdrücklich erklärt, dass sie auf unsere Rufe nicht mehr antworten wollen.«
»Weyrführer M'tal«, hob Kindan an und legte dann
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