Drachenwege
wird Zeit für deinen Unterricht.«
»Wir könnten ihn hier stattfinden lassen«, schlug sie vor.
»Nein, Zenor muss heim, er braucht seinen Schlaf«, lehnte der Harfner ab. »Der Unterricht dauert ein paar Stunden, und wir können nicht von ihm verlangen, dass er so lange hier bleibt. Vergiss nicht, dass er dich nach Hause begleiten muss.«
Zenor schnitt eine Grimasse. »Meister Zist hat Recht, Nuella. Außerdem muss ich meiner Mutter helfen.
Selbst jetzt, wo Renna alt genug ist, um die anderen Kinder zu versorgen, muss ich ihr zur Hand gehen.«
»Sie hat viele Aufgaben übernommen, für die früher Kindan zuständig war, stimmt's?«, bemerkte Nuella.
Meister Zist räusperte sich warnend. Nuella wandte sich direkt an Kindan. »Aber natürlich kannst du dich nicht um den Jungwher kümmern und gleichzeitig deine alten Pflichten ausüben.«
»Das ginge wirklich nicht«, räumte Kindan ein.
»Aber mittlerweile scheint es mir, dass ich gar nichts anderes mehr tue, als Kisk zu versorgen.«
Zenor blickte ihn mitfühlend an. »Warte nur ab,
Kindan, Kisk wird im Nu ausgewachsen sein, und dann kannst du wieder mit uns in der Grube arbeiten.«
Nach diesen ermutigenden Worten entfernten sie
sich. Kindan suchte sich auf dem Boden ein warmes
Plätzchen, und Kisk kuschelte sich dicht an ihn, wobei sie eine Reihe von tschilpenden und quiekenden Lauten ausstieß. Aber der Wher schlief nicht ein. Unruhig wälzte sich das Tier von einer Seite auf die andere. Kindan rückte ein Stück ab, doch Kisk kroch abermals zu ihm und schmiegte sich an seinen Körper.
Als der Junge endlich eindöste, beleckte eine warme Zunge seine Wange. Übermüdet öffnete Kindan ein Auge und bemerkte, dass Kisk über ihm kauerte, den Kopf hoch aufgerichtet hatte und ihm ins Gesicht starrte. Kindan gab ein paar tröstende Geräusche von sich und machte das Auge wieder zu.
Dann spürte er die Zunge auf seiner anderen Wange.
Jählings riss er beide Augen auf. Kisk betrachtete ihn mit geneigtem Kopf und fuhr fort, ihn mit flinker Zunge liebevoll abzuschlecken.
»He! Lass das!«, rief Kindan ärgerlich. Bei dem
schroffen Tonfall zuckte der Wher zurück und
vollführte mit der Schnauze klickende Töne. »Ich bin müde, es ist längst Schlafenszeit - oh nein! Sag jetzt bloß nicht, dass du putzmunter bist!«
Doch binnen fünf Minuten hatte Kisk dem Jungen
klar gemacht, dass sie hellwach war und spielen wollte.
Sie fand einen seiner Schuhe, nahm ihn ins Maul und schleudert ihn übermütig in die Luft. Dann fing sie den Schuh mit einer Tatze auf, nur um ihn gleich wieder hochzuwirbeln, und das Spiel begann von Neuem.
»He, das ist mein Schuh!«, schimpfte Kindan und
griff danach. Doch kurz darauf merkte er, dass er einen Fehler begangen hatte. Kisk glaubte, er ginge auf ihr Spiel ein, und trachtete mit Eifer danach, ihm den Schuh abzujagen. Zehn Minuten später und nach einer massiven Bestechung mit Fleischbrocken gelang es Kindan, sein Schuhzeug zurückzuerobern.
Kisk war immer noch voller Tatendrang. Des Schuhs
beraubt, fing sie an, im Schuppen herumzustöbern. Mit einer Pranke griff sie nach dem Vorhang und zerrte ihn hin und her, bis ein plötzlicher Lichteinfall von draußen sie erschreckte. Aus ihrer Kehle drang ein Zischen, und hastig drehte sie den Kopf mit den empfindlichen Augen zur Seite. Doch nach einer kurzen Weile kehrte sie zurück und steckte den Kopf unter den Vorhang. Es war Nacht, und nur die Sterne verbreiteten einen matten Schimmer.
Kindan sprang auf die Füße und hielt Kisk am
Schwanz fest, damit sie nicht aus dem Schuppen ent-wischte. Doch es kostete ihn einige Mühe, ihr ein be-helfsmäßiges Strickhalfter anzulegen, ehe sie ihren Willen durchsetzte und ins Freie kroch, den Jungen mit sich ziehend. Für ein Geschöpf, das Kindan nur bis zu den Knien reichte, besaß der Jungwher erstaunliche Kräfte.
»Langsam, langsam!«, keuchte Kindan, als Kisk ihn
in Richtung des Seeufers zerrte. »Du möchtest ans Wasser, nicht wahr?« Er entsann sich, wie Zenor mit seiner kleinen Schwester sprach; unentwegt beschrieb er ihr, was sie sahen und was passierte. Also gab er einen Kommentar zu allem ab, was ihnen auf ihrem Weg zum See widerfuhr. Am Ufer angekommen, beschnüffelte Kisk ausgiebig das Wasser. Anfangs berührte sie mit der Zungenspitze vorsichtig das kühle Nass, doch dann fasste sie Mut und stillte mit gierigen Schlucken ihren Durst.
»Hast du das Wasser gerochen und wolltest zum See, weil du so durstig warst?«,
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